Single – aber nicht allein

AUF Bulletin 4/14, Prof. Dr. phil François Höpflinger, em. Titularprofessor für Soziologie

Die Haushaltform ist nicht entscheidend

Zahl und Anteil der Einpersonenhaushalte haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht. Umfassten 1960 erst 14% aller Privathaushaltungen nur eine Person, waren es 2010 35% und bis 2030 dürfte ihr Anteil auf gut 41% ansteigen.

Seit den späten 1960er Jahren stieg auch die Zahl bewusst und selbstbewusst alleinlebender Frauen und Männer; eine Entwicklung, die mit dem Begriff des Singles umschrieben wird. Ursprünglich meinte der angloamerikanische Begriff ‚single‘ eigentlich nur das Gegenteil von ‚married‘. Wer in den USA der 1970er Jahre nicht verheiratet oder zumindest nicht verlobt war, galt als ‚Single‘. Wenn heute in den Massenmedien über Singles berichtet wird, werden damit in Regel allein wohnende junge und jüngere Erwachsene ohne feste Partnerbeziehung angesprochen. Alleinleben galt und gilt in modernen Gesellschaften als Hinweis auf eine verstärkte Individualisierung und die Abwertung traditioneller Lebensformen. Freiheit, Autonomie und Selbstverwirklichung sind Werthaltungen, die mit einem (bewussten) Single-Dasein in Verbindung gebracht wurden und gebracht werden (wogegen ledige Frauen über 30 bis Mitte des 20. Jahrhunderts als ‚alte Jungfer‘ bemitleidet wurden).

Yuppies - Individualisten - Egoisten?

Die genauere Analyse sozialer Diskussionen zum Singledasein lässt aber ein zweideutiges mediales Bild alleinlebender Frauen und Männer erkennen: Auf der einen Seite werden Singles als karriereorientierte Yuppies und freiheitsliebende Individualisten bewundert oder beneidet. Auf der anderen Seite schwingen immer auch negative Klischees mit, wie Singles als asoziale, selbstsüchtige oder beziehungsunfähige Einzelgänger und Einzelgängerinnen. Speziell auch die Renaissance von Partnerschaftsidealen (‚ewige Liebe') der letzten fünfzehn, zwanzig Jahre hat defizitorientierte Bilder zum Alleinleben wieder verstärkt, etwa, wenn diskutiert wird, dass alleinlebende Männer ein deutlich höheres Erkrankungs- und Sterbe­risiko aufwiesen als Männer in einer Partner­beziehung. Der deutsche Soziologe Stefan Hradil sprach in den 1990er Jahren sogar von einem Wandel des Leitbilds des Singles zum ‚Leidbild‘ des Alleinstehenden. Der Single – in den 1970er Jahren Repräsentant eines befrei­enden Individualismus – wurde im Rahmen der Finanzkrise vermehrt zur Repräsentation eines überbordenden Egoismus.

In vielen medialen und politischen Diskus­sionen zu Singles oder alleinlebenden Frauen und Männern gehen allerdings zwei wesent­liche Sachverhalte häufig verloren:

Single ist nicht gleich Single

Erstens handelt es sich bei Menschen, die allein in einem Haushalt leben, um eine sehr heterogene Gruppe von Frauen und Männern, die völlig unterschiedliche Lebensentwürfe und Lebenshintergründe aufweisen. Gründe und Dauer des Alleinlebens variieren stark, wobei Alleinleben in einigen Lebensphasen ein wichtiger persönlicher Entwicklungsschritt darstellt, in anderen Lebensphasen eher schicksalshaft auftritt. Detailanalysen zeigen zudem, dass Unterschiede zwischen Singles und Nicht-Singles fliessend sind bzw. in der Formulierung des Soziologen Walter Bien: „Single ist nicht gleich Single und mancher Familienmensch lebt ein ausgeprägteres Singleleben als mancher Alleinlebende.“ In jüngeren Lebensjahren – etwa nach dem Wegzug aus dem Elternhaus – leben Frauen und Männer zeitweise bewusst und gerne in einem eigenen Haushalt (wobei statistisch interessanterweise auch Personen, die in einer Wohngemeinschaft leben, als ‚Single‘ gezählt werden, sofern sie eine eigene Postadresse aufweisen). Zeitweise sind nicht wenige Frauen und Männer, die allein leben, nicht immer alleinstehend, weil sie eine enge, haushaltsübergreifende Partnerbeziehung pflegen. Andere Frauen und Männer – sogenannte ‚committed singles‘ – leben selbstgewählt und bewusst dauerhaft allein und ohne Partner bzw. Partnerin. In späteren Lebensjahren ist Alleinleben häufiger das Resultat einer Scheidung, und eine allein­erziehende Mutter lebt nach dem Auszug ihrer Kinder erneut in einem Einpersonenhaushalt. Im höheren Lebensalter ist – vor allem bei Frauen – das Alleinleben die Folge einer Verwitwung usw. Neben Motiv und Dauer des Alleinlebens variieren aber auch soziale Lebenslagen. Neben selbstbewussten, wohlhabenden Singles – die ihren eigenen Haushalt auch bei einer intimen Partner­beziehung nicht aufgeben – finden wir sozial schwache und desintegrierte Alleinlebende (die ohne grosse Chancen eine Partnerin bzw. einen Partner suchen). Die lebensgeschichtl­ichen und sozialen Unterschiede bei Allein­lebenden sind enorm, was zur Folge hat, dass die Politik mit dieser heterogenen Lebensform – die sich klassischen Ehe- und Familien­idealen entzieht – Mühe hat.

Steuerpolitik nicht mit der Haushaltform begründen

Zweitens zeigen Analysen sozialer Netzwerke, dass unter heutigen Kommunikations- und Mobilitätsbedingungen die formelle Haushalts­form (alleinlebend, im Paar oder als Familie) das soziale Beziehungsnetz kaum mehr klar beeinflusst. Einsamkeit bei Alleinlebenden kommt vor, aber auch Einsamkeit in einer Paarbeziehung. Familiale Kontakte – zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern, zwischen Grosseltern und Enkelkindern – greifen heute häufig über die Haushalts­grenzen hinaus. Nachbarschafts­kontakte und Freundschafts­beziehungen zeigen zwischen alleinlebenden Personen und nicht allein­lebenden Personen kaum mehr klare Unterschiede. In jedem Fall sind Singles nicht häufiger sozial isoliert und vereinsamt als Menschen, die mit anderen Personen im gleichen Haushalt leben. Eine Ausnahme bilden depressive Alleinlebende und arme Alleinlebende (aber hier sind Depressivität und Armut die Ursache sozialer Isolation, nicht das Alleinleben an sich). Ein zentrales Ergebnis empirischer Studien der letzten Jahrzehnte ist, dass Individualisierung nicht zu einer Auf­lösung sozialer Beziehungen beigetragen hat. Die formelle Haushaltszusammensetzung sagt über soziale Beziehungen und gegenseitige Hilfe in einer modernen Gesellschaft immer weniger aus (ebenso wie der formelle Zivil­stand heute kaum mehr aussagekräftig ist)

Es wird deshalb immer fragwürdiger, wenn sich sozial- und steuerpolitische Regelungen und Massnahmen teilweise immer noch auf die offizielle Haushalts- und Familienzusammen­setzung abstützen.

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