Allein leben – zwei Seiten einer Medaille
ZESO, Zeitschrift für Sozialhilfe 4/14, von Sylvia Locher
Viele Alleinlebende führen ein gutes leben und geniessen die damit einhergehen Freiheiten, sofern die finanziellen Ressourcen dies zulassen. Wer kein Geld hat, ist stärker gefährdet, zu vereinsamen. Wichtig ist, dass man genügend ausserfamiliäre Kontakte pflegt.
Die Bezeichnung alleinstehend ist mit vielen Klischees behaftet. Entweder bringt man alleinstehenden oder allein lebenden Menschen Mitleid entgegen, weil sie niemanden gefunden haben, mit dem sie das Leben teilen können. Oder man stempelt sie als Egoisten ab, die keine Verpflichtung in Familie und Gesellschaft übernehmen wollen. Fakt ist aber, dass ein Grossteil der Alleinlebenden ein ebenso gutes Leben führt wie alle anderen, sowohl im Beruf wie auch im privaten Bereich. Es ist sicher ein Vorteil und eine Freiheit, wenn man sich sein Leben so einteilen kann, wie man es sich wünscht. Immer vorausgesetzt, die gesundheitlichen und finanziellen Ressourcen sind vorhanden. Aber so wie keine Entscheidungen abgesprochen werden müssen, so sind auch alle anfallenden Aufgaben, beispielsweise im Haushalt, allein zu bewältigen. Ein Einpersonenhaushalt gibt unwesentlich weniger zu tun als ein Zweipersonenhaushalt.
Die Rolle der sozialen Familie
Eine grosse Bedeutung im Leben der Alleinstehenden hat die «soziale Familie»: Bekannte, Freundinnen, Kollegen – all jene Leute, mit denen sie sich austauschen können und die einen Teil der Aufgaben der biologischen Familie übernehmen: gemeinsam die Freizeit gestalten, Pflege bei Krankheit, gegenseitiges Zuhören und zur Seite stehen. Ähnlich wie im Familienleben ist es wichtig, immer im Dialog zu bleiben und auftretende Probleme gemeinsam anzupacken. Der Aufbau und die Pflege von ausserfamiliären sozialen Kontakten sind mit einem grösseren zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden.
Soziale Isolation ist etwas vom Schlimmsten, was einer Person passieren kann. Ursachen gibt es viele. Beispielsweise, dass jemand von der Berufstätigkeit derart ausgelaugt ist, dass sie oder er in der Freizeit keine Kontakte mehr knüpfen mag. Oft merkt man dann erst nach Jahren, dass einem das soziale Umfeld abhandengekommen ist und fehlt. Im Nachhinein ein Netz aufzubauen ist erheblich schwieriger als sich ein Leben lang darum zu kümmern. Spätestens beim Eintritt ins Pensionsalter rächt es sich, wenn die sozialen Kontakte fehlen. Denn wenn der Beruf wegfällt und zu Hause auch niemand ist, mit dem man sich austauschen kann, wird es sehr einsam. Immerhin existieren heute viele Organisationen, die sich für ältere Leute einsetzen und sie bei der Freizeitgestaltung unterstützen.
Initiative gegen die Einsamkeit
Eine Möglichkeit, im Alter nicht zu vereinsamen, ist der Zusammenschluss von Gleichgesinnten. Rund ein Dutzend Frauen der Regionalgruppe Basel der AUF (Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Frauen und Männer beispielsweise) treffen sich einmal im Monat und besuchen gemeinsam kulturelle Anlässe oder organisieren sich eine Referentin, einen Referenten zu einem speziellen Thema. Vor oder nach dem Anlass und auch ausserhalb dieser Treffen findet ein persönlicher Austausch statt. Muss eine der Frauen ins Spital, weiss es bestimmt eine andere. Ist die eine nicht mehr mobil, holt die andere sie mit dem Auto ab.
Ein grosses Hindernis für die Teilnahme am sozialen Leben sind gesundheitliche Einschränkungen. Wenn niemand zu Hause ist, der einem zur Hand gehen kann oder sogar die Pflege übernimmt, ist man gleich doppelt handicapiert. Je weniger mobil jemand ist, umso eher kommt es zur sozialen Isolation, weil man immer weniger ausserhalb der eigenen Wohnung auf andere Menschen trifft. Einmal an dem Punkt zu stehen, wo nichts mehr von selbst geht und kein Partner und keine Kinder da sind, die unterstützen können, das ist wohl die grösste Angst der Alleinstehenden. Sind genügend finanzielle Mittel vorhanden, kann man sich die eine oder andere Dienstleistung «kaufen». Aber wenn kein Geld vorhanden ist? Dann findet man sich vielleicht in einem billigen Wohnblock oder in einem zweitklassigen Altersheim wieder, umgeben von Menschen, die einem nicht zusagen. So betrachtet liegen Geld und soziales Wohlbefinden sehr nahe beisammen.
Wenn es prekär wird
Wer kein Geld hat, kann nicht an gesellschaftlichen Anlässen teilnehmen oder hat Hemmungen, Leute einzuladen, weil man ihnen nichts bieten kann. Um dem Druck der Gegeneinladung zu entgehen, lässt man sich auch nicht mehr einladen. Es beginnt ein Teufelskreis. Eine alleinstehende Frau, die sich keine Ferien leisten kann, erzählte, dass sie als Ersatz für Ferien ein Ritual eingeführt habe: Sie sage allen Leuten, dass sie Ferien hätte. Sie nimmt dann keine Telefonanrufe entgegen, nimmt nicht am gesellschaftlichen Leben im Haus teil und erledigt tägliche Dinge nicht. So habe sie wenigstens einen Hauch des Feriengefühls.
Von einem alleinstehenden Mann, über Fünfzig, der durch das berufliche Netz gefallen ist und jetzt teilweise von der Sozialhilfe lebt, weiss ich, dass seine Schwester nach ihm schaut. Wenn ein Mann verheiratet oder liiert ist, fällt weniger auf, dass er keinen Haushalt führen kann. Die Frau schaut zum Rechten. Mein Onkel hatte nie eine eigene Wohnung besessen und immer bei einer Schlummermutter gewohnt. Er hat nie gekocht und viel auswärts gegessen. Was er an Wohnungskosten vielleicht gespart hat, hat er mit Auswärtsessen und für Reinigungs- und Waschanstalten usw. wieder ausgegeben. Auch heute leben eigentlich immer noch viele junge bis weniger junge Männer im Hotel Mamma. Ich persönlich kenne mehr alleinstehende Frauen als Männer, die ihr Leben im Griff haben.
Alleinlebende werden oft benachteiligt
Was ich oft beobachte, bei Männern und auch bei Frauen, ist, dass sie sich beruflich selbständig machen und dabei ihr Pensionskassengeld antasten. Das ist eine fatale Entscheidung, denn im Rentenalter nur von der AHV zu leben, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Männer und Frauen sind in der Folge auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Allerdings sind auch unverheiratete Frauen, die immer berufstätig waren, im Alter oft auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Sie haben zeitlebens für Frauenlöhne gearbeitet und entsprechend wenig Rente anäufnen können.
Das Leben als Single ist generell sehr teuer. Man kann keine Wohnungskosten teilen oder bei Lebensmitteln kaum von Aktionen profitieren, weil die Packungen zu gross sind. Für Singles gibt es auch keine Rabatte. Bei den SBB fahren Kinder gratis mit und das GA für den Partner wird um 1060 Franken ermässigt. Auch das Steuersystem kennt kaum Abzüge für Menschen, die keine Kosten teilen können. Zur höheren Steuerbelastung kommt hinzu, dass ein Teil dessen, was Alleinstehende in Sozialversicherungen und Pensionskassen einzahlen, andern zugutekommt. Die Politik diskutiert zwar über die so genannte Heiratsstrafe, aber niemals über die finanzielle Last, die Menschen zu tragen haben, die allein leben. Alleinstehende zu vertreten, scheint für Politikerinnen und Politiker uninteressant. Sie widmen sich lieber der Familienpolitik, weil sich «mit Ledigen kein Staat machen lässt», wie es ein Vertreter einer Non-Profit-Organisation einmal ausdrückte. Auf politischer Ebene haben die Alleinstehenden keine Lobby, obwohl es in der Schweiz inzwischen über eine Million Einpersonenhaushalte gibt.
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