Chefin der Schweizer Single-Lobby: «Allein zu sein, gilt immer noch als Fehler im System»

watson, Interview mit Sylvia Locher von Jacqueline Büchi, 12.10.2017

Die Organisation Pro Single Schweiz kämpft gegen die Diskriminierung von Menschen ohne festen Partner. Präsidentin Sylvia Locher über unangebrachte Fragen von alten Klassenkollegen und den schweren Stand von Singles in der Politik.

Frau Locher, sind Sie gern Single?
Sylvia Locher: Immer diese Frage! Ich kann es nicht mehr hören. Aber wenn es Sie interessiert: Ja, ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben.

Pardon, also nochmals von vorn: Sie sind Präsidentin der Organisation Pro Single Schweiz. Warum brauchen Menschen ohne feste Bindung hierzulande eine Lobby?
Wir setzen uns dafür ein, dass Alleinstehende in Politik und Gesellschaft gleich behandelt werden wie alle anderen Erwachsenen auch. In der Politik lautet das Motto: Familien, Familien, und nochmals Familien. Dann kommen Eheleute, vielleicht noch Konkubinatspaare. Aber wie sich beispielsweise eine neue Steuer auf Singles auswirkt, wird nie thematisiert.

«In vielen Parteien ist es beliebt, gegen Alleinstehende zu schiessen.»

Es gibt also viele Familienparteien, aber keine Singlepartei?
In vielen Parteien ist es beliebt, gegen Alleinstehende zu schiessen. Zum Beispiel dieses Wochenende: Da bezeichnete SP-Fraktionschef Roger Nordmann in der «Sonntagszeitung» die Idee einer 25-Stunden-Woche als «katastrophal», weil davon nur wieder «gut verdienende Alleinstehende ohne Kinder» profitieren würden. Gegen solche Anwürfe wehren wir uns. Auch von den selbsternannten Familienparteien CVP und SVP können wir leider wenig Verständnis erwarten. Noch am ehesten stelle ich bei den Freisinnigen eine gewisse Sensibilität für die Situation Alleinlebender fest.

Pro Single schaltete sich auch in die Debatte zur Rentenreform ein. Sie warben für ein Nein, weil mit der Vorlage die Maximalrente für Ehepaare erhöht worden wäre. Glauben Sie, dass die Stimmen der Singles an der Urne ins Gewicht gefallen sind?
Sie trugen sicher ihren Teil zur Ablehnung der Reform bei. Ich habe sehr viele Rückmeldungen von Singles erhalten, die es nicht in Ordnung fanden, dass die Verheirateten mit der Vorlage noch mehr Privilegien erhalten hätten. Aber natürlich gibt es Singles mit unterschiedlichen politischen Präferenzen.

«Ehepaare fragt nie jemand, ob sie glücklich sind mit ihrer Entscheidung.»

Nicht nur in der Politik, auch in der Gesellschaft würden Singles heute diskriminiert, sagen Sie. Wo zum Beispiel?
Das beginnt schon bei der Frage nach dem «Warum», die Sie mir am Anfang gestellt haben. An einer Klassenzusammenkunft fragte mich ein alter Schulkollege einst: «Warum hast du nie geheiratet?» Ich fragte zurück: «Und warum hast du geheiratet?» Er erwiderte verdutzt, das sei doch normal. Ehepaare fragt nie jemand, ob sie glücklich sind mit ihrer Entscheidung. Und das, obwohl die Scheidungsstatistik eine klare Sprache spricht. Singles gelten immer noch als Fehler im System.

Dabei ist Individualismus heute doch hoch im Kurs! Ungebunden zu sein, entspricht dem Zeitgeist.
Natürlich hat sich einiges verändert. Gerade die Frauen haben sich emanzipiert. Sie haben bessere Berufe und Löhne als früher, sind selbstbewusster geworden. Sie müssen nicht mehr heiraten, damit sie versorgt sind. Aber von jungen Frauen höre ich immer noch, dass sie ständig gefragt werden, ob sie den Richtigen schon gefunden haben und wann sie endlich eine Familie gründen. Dieser gesellschaftliche Druck bleibt gross.

Wissen Sie, was ein Mingle ist?
Nein, davon habe ich jetzt noch nie gehört (lacht).

Das ist die Bezeichnung für eine Person, die sich in einem beziehungsähnlichen Zustand befindet, aber darauf besteht, als Single zu gelten. Alleinsein scheint heute so sexy zu sein, dass es manche Menschen gar nicht aufgeben wollen!
Wenn das jemandem so passt, ist das wunderbar. Wobei ich selber da wieder eher konservativ bin: Wenn man einen Partner hat – warum soll man nicht zu ihm stehen? Pragmatisch betrachtet sind diese Leute in derselben Situation wie gewöhnliche Singles auch: Sie müssen die Wohnung, die Billag und den Internetanschluss allein bezahlen. Wer mit dem Partner zusammen wohnt, kann all diese Kosten teilen. Zudem dürften Mingles ebenfalls häufig mit dem Vorwurf des Egoismus konfrontiert sein.

«Man gibt uns zu verstehen: ‹Du liegst uns auf der Tasche.›»

Mit dem Vorwurf des Egoismus?
Ja, das trifft mich persönlich fast am meisten. Man wirft Singles – insbesondere kinderlosen – vor, zu wenig für die Gesellschaft zu tun. Man gibt uns zu verstehen: «Du liegst uns auf der Tasche, da du keinen Nachwuchs hast, der in die AHV einzahlt.» Dabei zahlen wir den Kindern von anderen Leuten die Ausbildung. Und wenn ein Alleinstehender stirbt, geht ein grosser Batzen direkt an den Staat – je nach Kanton bis zu 50 Prozent des Vermögens. Das wird in der öffentlichen Debatte einfach ausgeblendet. Ganz abgesehen davon zahlen ja auch Zuwanderer in die AHV ein. Und es sind oft auch die Ausländer und nicht die eigenen Kinder, die die Betagten im Altersheim pflegen.

Was passiert eigentlich, wenn sich jemand von Pro Single Schweiz verliebt? Ist er oder sie die Mitgliedschaft dann los?
Nein, sicher nicht (lacht). Wir haben auch Mitglieder, die längst nicht mehr allein leben, uns aber weiter unterstützen, weil sie gegen die Diskriminierung Alleinstehender sind. Zudem kann man nie wissen, ob man plötzlich wieder Single ist. Verheiratetsein ist bekanntlich oft kein Dauerzustand. Und spätestens wenn der Partner stirbt, ist man wieder mit den alten Problemen konfrontiert.

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Kommentare

29.10.2017

Leila

Sehr wahr. Ich muss mir auch immer die Frage anhören: Aber wieso bist du allein, du siehst doch gut aus? Das es vielleicht nicht jedem zu jeder Zeit vergönnt ist, einen passenden Partner zu finden, geht nicht in diese Köpfe. Ich denke, für alleinstehende Frauen ist es noch schwieriger.
Und zur Benachteiligung: Als alleinstehende Frau werde ich von Nachbarn bedroht und letzthin von einem Trammitfahrer halblaut beschimpft, weil ich mich gewehrt habe, weil er mich fast auf die Füsse trat.
In den Ferien erhält man als einzelne Person meist das schlechteste Zimmer, usw. Ich werde mich also ehrlich bemühen, bald einen Partner zu finden - klar, zu zweit durchs Leben zu gehen, ist meist schöner. Mal sehen, was die Zukunft bringt.

06.05.2018

Doreen

Zum Lebensstil: Es ist leider so, frau wird fragend angeschaut, wenn sie sich als Single bekennt. Vielleicht ist sie zickig? Vielleicht ist sie zu hässlich? Vielleicht... ach der Gründe in den Augen der paar-verbandelten Menschen sind viele. Und wenn man das Pech hat, sich aus einer Partnerschaft zu verabschieden oder verabschiedet zu werden, ist in den Augen der meisten die einzig richtige Strategie, möglichst sofort wieder einen Partner zu finden. Warum eigentlich? Eine Notwendigkeit? Leide ich not? Nein. Nach verschiedenen solchen Berg- und Talfahrten von Himmel und Hölle bin ich als Single-Frau richtig zufrieden. Ich habe gelernt, selbständig und unabhängig (in jeder Hinsicht, auch finanziell) zu entscheiden. Falls doch Mr. Right auftauchen sollte, bin ich offen. Aber nur auf Augenhöhe. So lange habe ich keine Lust zu warten. Wie es jetzt ist, fühle ich mich sehr frei und sehr wohl. Punkt. Und ja, finanziell ist das Leben teuer. Singles müssen finanziell und gesellschaftlich fairer behandelt werden. Mehr Wertschätzung den Singles gegenüber; das tut not. Danke herzlich dem Verein Pro Single.

04.02.2024

Marina

Ich bin Single und merke das extrem in meiner Mietwohnung. Ich bin weniger Wert, soll auf Alle Rücksicht nehmen. Ich gehe jeden Tag (Vollzeit) arbeiten, wer nimmt auf mich Rücksicht, wenn ich früh raus muss? Kinderlärm muss akzeptiert werden, sonst ist man Kinderfeindlich. Mein Parplatz den ich gemietet habe wird einfach, ohne zu fragen besetzt, wenn ich das beanstande, wird mit Unverständnis reagiert,- ich bin ja alleine, für was braut man das dann. Dann werden Gespräche geführt, die ich hören muss - die weiss ja gar nicht was Veratwortung ist. Wenn ich wasche (ich habe nicht so viel Maschinen) heisst es wann sind Sie fertig (kaum dass ich angefangen habe) - wir müssen waschen, haben Kinder. Da frage ich mich wirklich. Es wird aber nicht hinterfragt, warum ich keine Kinder habe. Warum ich Single bin usw. Man wird einfach von wildfremden Personen be.- und verurteilt. Wie sieht das aus…tragen Singles nichts zur Gesellschaft bei, wenn man Vollzeit arbeitet,- die vollen Steuern zahlt? Könnten die im Haus nicht froh sein, dass man weniger wäscht und somit ja schneller fertig ist?

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