Benachteiligung aufheben

NZZ vom 4.6.2015, von Sylvia Locher

Die heutigen Erbschaftssteuern diskriminieren unverheiratete Kinderlose.

Die bevorstehende Abstimmung über die Erbschaftssteuer-Initiative hat sich zu einer heftigen Debatte zwischen Links und Rechts, Arm und Reich entwickelt. Dabei geht immer wieder vergessen, dass die Erbschaftssteuer keine neue Steuer ist und aus einer bestimmten Quelle seit jeher gespeist wird, nämlich aus den Nachlässen von kinderlosen, unverheirateten Personen. Bei deren Ableben fliesst je nach Kanton bis zur Hälfte des Nachlasses direkt in die Staatskasse. Auf diese Weise kommen jährlich immer noch 900 Millionen Franken Erbschaftssteuern zusammen, obwohl in fast allen Kantonen die direkten Nachkommen von der Steuer befreit wurden.

Für viele – auch für Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf – steht fest, dass man diese Nachlässe anders besteuern soll. Die so genannten «Dritten» hätten ja mit der Familie nichts zu tun gehabt. Dabei sind es die Familienmitglieder selbst, die vom neuen Erbschaftssteuer-Gesetz profitieren würden, nämlich die Nichten, Neffen und Patenkinder, die von ihren Tanten und Onkeln erben. Aber wirklich störend an dieser Haltung ist, dass eine unterschiedliche Besteuerung überhaupt als normal empfunden wird, denn die heutigen Erbschaftssteuern stellen eindeutig eine Diskriminierung der unverheirateten Kinderlosen dar. Alle Menschen haben genau gleich für ihr Geld gearbeitet oder es vererbt bekommen, und alle haben Vermögenssteuern dafür bezahlt. Hinzu kommt, dass gerade kinderlose Unverheiratete bereits zu Lebzeiten zum höheren Tarif besteuert werden als Familien. In Zürich beträgt die Steuerlast einer ledigen Person bei einem Bruttoarbeitseinkommen von 100 000 Franken 11 Prozent. Die Steuerbelastung für ein Doppelverdienerpaar mit zwei Kindern beträgt beim gleichen Einkommen 3,9 Prozent, also etwa ein Drittel. Die Familien profitieren erheblich mehr: Schulen werden bezahlt, öffentlicher Verkehr und Krankenkassenprämien verbilligt, Kinderbetreuung und vieles mehr gefördert. – Mit der neuen Erbschaftssteuer könnten Kinderlose ihr Erbe ihrer sozialen Familie, das heisst den nächsten Freunden, die sie ihr Leben lang begleitet haben, vermachen, und zwar im gleichen Umfang und mit dem gleichen Recht wie biologischen Familien.

NZZ vom 4.6.15

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