Die Pensionskassen bereichern sich an den Singles

Sonntagszeitung, 25.8.24, von Bettina Weber

Wer alleine lebt, unverheiratet ist und kinderlos, verliert im Todesfall meist alles Geld aus der beruflichen Vorsorge. Die Kassen nennen das «Solidarität». Dabei ist diese Regelung reaktionär, findet Bettina Weber.

Die Diversität, mit der sich so viele Unternehmen gerne schmücken, ist bei den Pensionskassen noch nicht angekommen. Dort ist die Zeit stehen geblieben, irgendwo in den muffigen 1950er-Jahren, wo Ehepaare das alleinige Standardmodell waren – und alle anderen Lebensformen als Abweichungen galten, auf die man keine Rücksicht nehmen musste.

Das gilt bis heute. Denn wer alleine lebt und unverheiratet ist, kann über sein angespartes Kapital der zweiten Säule nicht einfach so verfügen. Das Gesetz sieht immer noch vor, dass ausschliesslich Ehegatten und eingetragene Partnerschaften im Todesfall eine Rente auslösen können. Bei allen anderen bleibt das angesparte Geld – meist mehrere Hunderttausend Franken oder noch mehr – bei der jeweiligen Pensionskasse. Die meisten haben ihre Reglemente von sich aus ein bisschen angepasst und akzeptieren nun auch sogenannte Lebenspartnerschaften, also Konkubinatspaare. Das klingt so grosszügig, wie wenn das Zusammenleben ohne Trauschein noch bis vor kurzem ein Skandal gewesen wäre. Dabei ist es selbst im Kanton Wallis seit 1995 erlaubt (in Zürich seit 1972).


Am härtesten trifft es, wie immer, die Alleinstehenden

Wer nicht ehelich verbandelt ist, muss aber zwingend eine entsprechende Vereinbarung bei der jeweiligen Kasse abgeben. Und noch etwas wird den unverheirateten Paaren vorgeschrieben: dass sie einen gemeinsamen Wohnsitz haben müssen. Für die Pensionskassen und für die Politik scheint es 2024 undenkbar, dass es Paare gibt, die nicht zusammenwohnen möchten oder können – obwohl auch die ehemalige Bundesrätin Simonetta Sommaruga dieses Lebensmodell wählte.

Am härtesten trifft es aber, wie so oft, die Alleinstehenden. Sie dürfen ihre angesparte zweite Säule, wenn es denn das Reglement überhaupt vorsieht, lediglich den Eltern oder Geschwistern zugutekommen lassen. Sind die Eltern gestorben und weder Bruder noch Schwester vorhanden (oder wenn diese jemand schlicht nicht begünstigen will), bleibt das Kapital all jener, die nicht den bürgerlichen Hafen von Ehe und Familie ansteuern, im Todesfall bei den Pensionskassen. Das ist besonders irritierend, weil die Zahl der Alleinlebenden stetig zunimmt: Sie machen mit 1,4 Millionen mittlerweile 17 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Parallel dazu nimmt auch die Kinderlosigkeit zu, jede vierte Frau hat heute keine Kinder. Trotzdem sind beide Lebensformen in der Welt der Pensionskassen nicht vorgesehen.


Pensionskassen rechnen mit dem Geld der Alleinstehenden

Dafür rechnet man fest mit ihrem Geld. 2016 schätzte ein Experte des VZ Vermögenszentrums grob, dass die Pensionskassen dank der Alleinstehenden jährlich die gewaltige Summe von einer halben bis zu einer ganzen Milliarde Franken einnehmen. Er erklärte, es handle sich dabei um Lohnbestandteile, die den Erben zustünden, die Kassen «sollten die Guthaben nicht zurückhalten».

Das tun sie aber nach wie vor. Keine der sechs grössten Schweizer Pensionskassen beantwortete die Frage, wie viel an solchen Geldern sie jährlich einnehmen. Auf die Frage, ob sie die Regelung, die so sehr auf den Zivilstand und das Lebensmodell abstellt, noch für zeitgemäss hielten, führten die meisten den Begriff «Solidarität» ins Feld. Einzig der Sprecher der Tellco räumte ein, dass dies aus subjektiver Sicht tatsächlich «etwas stossend» sei. Man könnte es auch weniger vorsichtig formulieren und sagen: Wenn Alleinlebenden ihre Lohnbestandteile vorenthalten werden, mutet man ihnen im Grunde zeitlebens eine Lohnkürzung zu.


Alleinstehende als Minderheit sollen mit Mehrheit solidarisch sein

Im Mai hatte die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) betont, es sei «anzustreben, dass keine Quersubventionierung einer bestimmten Versichertengruppe über mehrere Jahre» stattfinde, und meinte damit das Verhältnis von Jung und Alt. Diese Querfinanzierung findet aber sehr wohl statt – ausgehend von den Alleinstehenden. Auf Nachfrage nennt das die OAK BV ebenfalls «Solidarität».

Dass die Alleinstehenden, Kinderlosen und Unverheirateten solidarisch sein sollen und die Ehe 2024 trotz neuer Familienkonstellationen, hoher Scheidungsraten und dem allgemeinen Bemühen, auf Minderheiten Rücksicht zu nehmen, immer noch als Massstab gilt, liegt daran, dass sich die Politik nicht für diese «Randgruppen» interessiert. Alle wollen lieber bei der Mehrheit punkten, und das sind die Familien und die Verheirateten. Deshalb haben die Alleinstehenden keine Lobby.

Und deshalb gelten für sie die Begriffe Diversität und Inklusion nicht, auch wenn sich derzeit viele Unternehmen damit schmücken.

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