Diese Frau vertritt die Singles

Luzerner Zeitung, 4.3.2017 von Kari Kälin

PORTRÄT ⋅ Eine steile Karriere, keine Sorgen und kein Beitrag ans Gemeinwohl: Sylvia Locher, Präsidentin von Pro Single Schweiz, ärgert sich über Klischees zu Alleinstehenden – und klagt über Benachteiligungen.

Für das jüngste politische Ärgernis hat der Zürcher Regierungsrat vorige Woche gesorgt. Bei der Prämienverbilligung spart er auf Kosten der Alleinstehenden, die Ehepaare verschont er. «Wieder einmal bezahlen die Singles die Zeche», sagt Sylvia Locher. Als sich der Bundesrat im letzten Sommer für 100 zusätzliche Subventionsmillionen für Kinderkrippen aussprach, dachte die Präsidentin des Vereins Pro Single Schweiz: «Jetzt reicht es allmählich.» Die Zürcher SP-Nationalrätin Chantal Galladé bezeichnete die Schweiz auf Telezüri vor wenigen Tagen als familienpolitisches Entwicklungsland. Für Locher völlig zu Unrecht. «Es gibt Kinderabzüge bei den Steuern, einkommensabhängige Krippentarife und Kinderzulagen.»

Wir treffen Sylvia Locher (60), diplomierte Kauffrau und ausgebildete Tanz- und Bewegungstherapeutin, in ihrer Wohnung in Wädenswil ob dem Zürichsee. Auf dem Tisch liegt ein Manuskript für ein Buch mit dem Titel «Ledig und kinderlos – Die Kostenfalle». Als Kontrast strahlt einem Babyglück entgegen, ein herziges Foto eines Grossneffen. «Ich bin nicht gegen Familien, weil ich mich für Alleinstehende einsetze. Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen», sagt Locher.

Singles haben keine Lobby

Laut dem Bundesamt für Statistik leben hierzulande 1,3 Millionen Menschen allein. Wie viele davon Singles sind, weiss man nicht. Klar ist hingegen: Anders als die Familien werden Alleinstehende politisch nicht umsorgt. Umsomehr hat sich Locher darüber gefreut, dass Peter V. Kunz, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern, neulich öffentlich eine Lanze für Kinderlose – und damit auch Singles – gebrochen hat. Seine Kolumne löste eine öffentliche Debatte aus, in die sich auch Locher einschaltete. Am letzten Samstag gab sie in mehreren Zeitungen ein grosses Interview mit positivem Effekt auf die Mitgliederzahl. Pro Single Schweiz, gegründet im Jahr 1975, zählt 20 Neumitglieder, insgesamt sind es nun 350.

Am meisten sehne sie sich nach einem Partner, wenn sie krank sei, sagte Locher im Interview. Ein Nachbar bot ihr an, ihr in diesem Fall den Tee ans Bett zu bringen. Locher hatte früher Beziehungen, heute geniesst sie ihre Unabhängigkeit. «Ich lebe in einem tollen Quartier, habe zwei interessante Jobs, langweilig ist mir nie.» Sie stört sich, wenn ihr Bekannte wünschen, sie möge noch einen Partner finden. Seit 1995 arbeitet Locher für Pro Single Schweiz, seit vier Jahren als Präsidentin. Nun will sie den Verein politisch besser verankern. Locher schreibt Leserbriefe, ab und zu verfasst sie einen Gastbeitrag für die NZZ, man beteiligt sich an Vernehmlassungen, kontaktiert Politiker.

Lebensweise hat Einfluss auf die Besteuerung

Eine Single-Partei gibt es nicht. «Alleinstehende Parlamentarier scheuen sich, öffentlich für die Interessen von Singles einzutreten», sagt Locher. Vielleicht, weil sie glauben, dereinst doch wieder liiert zu sein. Oder weil sich mit einer Pro-Single-Politik kaum punkten lasse. Am ehesten noch, sagt Locher, stiessen Anliegen für Alleinstehende in FDP-Kreisen auf Gehör.

Dabei schielt Locher gar nicht auf Privilegien. Singles sollen lediglich gleich wie alle anderen behandelt werden, fordert sie. Dass das Parlament die Witwenrente für Frauen, die keine Kinder betreuen, nicht abschaffen will, kann Locher nicht verstehen. «Es braucht doch keine Ehegattenbetreuungsprämie», sagt sie – und listet weitere Benachteiligungen auf. Für Alleinstehende gelte das ganze Leben lang ein höherer Steuerfuss. Ein Abzug für die höheren Kosten eines Ein­personenhaushalts? Fehlanzeige. Ehepartner und Kinder müssen keine Erbschaftssteuern entrichten. Hinterlassen Singles einem Bekannten ihr Vermögen, greift der Staat aber zu. «Die Lebensweise wird fiskalisch bestraft», so Locher. Benachteiligungen existieren auch im täglichen Leben: Es gibt keine Vergünstigungen im öffentlichen Verkehr, man kann sich die Radio- und TV-Gebühren nicht teilen, der Wohnraum pro Quadratmeter ist teurer.


Thomas Aeschi und das Bild mit dem Göttimeitli

Neben der politischen Vernachlässigung stört Locher auch die fehlende gesellschaftliche Anerkennung. «Singles müssen sich dauernd für ihr Leben rechtfertigen», sagt sie. Zum Beispiel Thomas Aeschi. Als der Zuger SVP-Nationalrat für den Bundesrat kandidierte, fragten Medien nach einer Beziehung. In der «Schweizer Illustrierten» liess sich Aeschi beim Spielen mit seinem Göttimeitli ablichten. Für eigene Kinder müsse er aber erst die richtige Frau finden, meinte der Politiker. «Es ist unglaublich, dass derart auf Aeschis Single-Dasein herumgeritten wurde», echauffiert sich Locher.

Noch geistern viele Klischees über Alleinstehende herum. Zum Beispiel, dass sie allesamt Karriere machen, ein sorgenfreies Leben führen oder nichts zum Gemeinwohl beitragen. Locher schüttelt den Kopf. «Viele Alleinstehende engagieren sich ehrenamtlich in Vereinen, hüten Kinder, pflegen ihre Eltern. Und zahlen mit den Steuern Schulen, ohne direkt davon zu profitieren.» Auf diesen Aspekt weist Locher jeweils Kritiker hin, die ihnen Feindseligkeiten wie «Meine Kinder zahlen deine AHV» entgegenschleudern oder meinen, Pro Single Schweiz wolle die Institution Familie abschaffen. «Das ist Blödsinn.»

Manchmal schreitet Locher zum Gegenangriff, fragt nach Gründen für die Heirat. Die Antworten sind meist wenig romantisch. «Wegen des Hauses. Ich kann nicht allein sein. Was ist denn das für eine Frage?»

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