Frau ist nicht gleich Frau

Blick, 21.11.2020 von Claude Chatelain

Nicht die Frauen haben bei Sozialversicherungen und Steuern zig Nachteile in Kauf zu nehmen, sondern Singles – unabhängig, ob Mann oder Frau.

Sylvia Locher, die Präsidentin von Pro Single Schweiz, schreibt mir, die Gewerkschaft sei nicht in der Lage, das Verhältnis von Beitragszahlung und Leistungsbezug in der AHV zu verstehen. «Könnten Sie mir helfen, diesen Fakt zu transportieren?»

Das mache ich gerne. Am Telefon erklärt sie mir, viele Frauen erhielten deshalb eine tiefere Rente als Männer, weil sie auch weniger einzahlten. Männer würden insgesamt mehr einzahlen als Frauen, und Frauen würden insgesamt mehr Rente erhalten als Männer. Das müsse man doch auch einmal zur Kenntnis nehmen.

Völlig daneben findet Locher, dass ausgerechnet jene, die am wenigsten in die AHV einzahlen, in den Genuss von Ausgleichszahlungen kommen sollen, wie das als Kompensation für ein höheres Frauenrentenalter gefordert wird. So nach dem Motto: Wer nicht gibt, dem wird gegeben.

Doch was die Präsidentin der Interessengemeinschaft der Alleinstehenden am meisten stört, ist der Begriff «die Frauen». Frauen seien keine homogene Gruppe. Es gebe viele Frauen, die über das Berufsleben ihre Renten finanzierten, und andere, die nie Beiträge gezahlt und trotzdem eine Rente zugut hätten.

Wie man weiss, erhalten viele Frauen auch deshalb eine tiefere Rente, weil sie für die Kinderbetreuung die Erwerbstätigkeit aufgeben und sich für den Haushalt kümmern. Für Sylvia Locher ist das kein Argument. Als Kompensation für die Kinderbetreuung gäbe es Erziehungsgutschriften, die so etwas sind wie ein fiktiver Lohn. Und für die Haushaltsführung könne man keinen Anspruch geltend machen. «Wenn dem so wäre», so die Single-Frau, «hätten alle Alleinstehenden eine zusätzliche Rente zugut, denn sie führen neben ihrer Berufstätigkeit ebenfalls einen Haushalt.»

Da haben wir es: die Singles. Nicht Frauen müssen zig Nachteile in Kauf nehmen, sondern die Singles – unabhängig, ob Mann oder Frau. Dies nicht nur bei den Sozialversicherungen, sondern auch im Steuer- und im Erbrecht.

Was mich betrifft, so habe ich noch ein anderes Problem: Der Gewerkschaftsbund behauptet, die Renten der Frauen seien im Schnitt um 37 Prozent tiefer als die der Männer, wenn man AHV- und Pensionskassenrenten zusammenzähle. Wahrlich ein abenteuerlicher Vergleich.

Viele Selbständigerwerbende, Männer oder Frauen, haben gar keine Pensionskasse. Zudem entscheiden sich immer mehr Menschen für das Kapital statt für die Rente. Gerade bei Paaren nimmt häufig der Mann die Rente und die Frau das Kapital, weil das steuerlich interessanter ist, als wenn beide die Rente nehmen und dadurch in eine hohe Steuerprogression geraten.

Warum vergleicht die Gewerkschaft nicht einfach die AHV-Renten von Frauen und Männern? Ganz einfach, weil die durchschnittliche Monatsrente bei Frauen ohne rentenberechtigten Partner 2036 Franken beträgt – 12 Franken mehr als bei Männern.

Dieser auf den ersten Blick verblüffende Vergleich ist dem Verwitwetenzuschlag geschuldet. Ein Phänomen, von dem Single-Frauen nicht profitieren können. Kein Wunder, dass Sylvia Locher sich echauffiert, wenn stets von «den Frauen» die Rede ist.

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