Alleinstehende und Alleinerziehende gehen zumeist vergessen: Für eine reine Individualbesteuerung

NZZ, 23.5.2022, von Sylvia Locher, Präsidentin Pro Single Schweiz

Unter dem Deckmantel der Individualbesteuerung soll das herkömmliche System bewahrt werden: Paare mit Kindern würden weiterhin von einem separaten Steuertarif profitieren.

Die Individualbesteuerung bei der direkten Bundessteuer scheint die perfekte Lösung zu sein: Besteuerung unabhängig vom Zivilstand, keine Addition der Einkommen von Ehepartnern, damit die Steuerprogression für Zweiverdiener- Ehepaare gebrochen wird; Eindämmung des Fachkräftemangels, weil dank ökonomischen Anreizen qualifizierte Frauen vermehrt in die Berufstätigkeit zurückkehrten; Alleinstehende würden nicht mehr zu einem höheren Tarif besteuert. Das stellen sich die meisten unter Individualbesteuerung vor.

Abzüge für Alleinstehende und Alleinerziehende

Im September 2021 hat der Bundesrat den zuständigen Parlaments­kom­mis­sio­nen eine «Auslegeordnung zur Individualbesteuerung» mit drei Modellen zur Konsultation vorgelegt. Die «reine Individualbesteuerung» erfasst Einkommen und Vermögen jeder Person separat, unabhängig vom Zivilstand. Ehepaare werden gleich besteuert wie Konkubinatspaare. Personen mit Kindern können Abzüge vornehmen. Haushaltsvorteile von Mehrpersonenhaushalten werden nicht berücksichtigt. Ehepaare mit ungleichen Einkommen werden nicht bevorteilt.

Bei der «modifizierten Individualbesteuerung» wäre ein Abzug für Paare mit ungleichmässiger Einkommensaufteilung oder die pauschale Zuweisung bestimmter Einkommensteile zu den Eheleuten möglich. Ferner wären Abzüge für alleinstehende oder alleinerziehende Personen denkbar.

Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats favorisiert nun allerdings das dritte Modell und empfiehlt wie ihre ständerätliche Schwester­kommission die «modifizierte Individualbesteuerung gemäss Ecoplan». Sie spricht sich gegen Abzüge für Allein­stehende und Allein­erziehende aus, möchte jedoch als Ausgleichsmassnahme bei ungleicher Einkommensverteilung einen Haushaltsabzug einführen. Zudem plädiert sie für einen privilegierten Tarif für Steuerpflichtige mit Kindern.

Damit zeigt sich auf den zweiten Blick, dass unter dem Deckmantel der Individualbesteuerung eigentlich das herkömmliche System bewahrt würde und Paare mit Kindern von einem separaten Steuertarif profitieren würden. Es wäre auch kontraproduktiv für die Frauenförderung, wenn Paare mit ungleicher Einkommensverteilung mit Haushaltabzügen belohnt würden.

«Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit»

Will man die ungleiche Besteuerung von Ehe- und Konkubinatspaaren sowie Alleinstehenden wirklich ausmerzen, kommt nur die reine Individual­besteu­erung infrage. Die Haushaltgrösse sollte nicht über verschiedene Steuertarife, sondern über Abzüge berücksichtigt werden, und zwar Abzüge für Kinder, weil diese Kosten verursachen, und Abzüge für Haushalte mit nur einer erwachsenen erwerbsfähigen Person – mit oder ohne Kinder –, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nachweislich kleiner ist als diejenige eines Paarhaushaltes, in dem zwei Einkommen generiert werden und zudem die Fixkosten geteilt werden können.

Die «wirtschaftliche Leistungsfähigkeit» eines Haushaltes darf nicht allein am tatsächlichen Einkommen festgemacht werden, sondern muss immer auch in Bezug zur Leistungsmöglichkeit und zur Leistungsbereitschaft gesetzt werden. Ein freiwilliger Verzicht auf Einkommen, weil man mit dem Einkommen eines Partners durchkommt, darf steuerlich nicht länger bevorteilt werden. Dieses Modell würde weder die unterschiedliche Besteuerung von Ehe- und Konkubinatspaaren eliminieren noch eine höhere Erwerbsbeteiligung der verheirateten Frauen fördern.

Das Modell Ecoplan geht in die falsche Richtung. Jetzt schon müssen praktisch alle Kinderlosen Bundessteuern bezahlen, während nur knapp die Hälfte der Paare mit Kindern belangt wird. Wieso soll gerade diese Personengruppe noch mehr begünstigt werden? Es ist zu hoffen, dass der Bundesrat bei der Ausarbeitung der Vernehmlassungsunterlagen mehr Gerechtigkeit walten lässt.


Sylvia Locher ist Präsidentin von Pro Single Schweiz

 

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