Herzliche Gratulation zum Jubiläum an Pro Single Schweiz 50 Jahre Interessenvertretung der Alleinstehenden

Bulletin 1/25, März 2025, Gastbeitrag von Bettina Weber

Der Begriff, mit dem sich in den letzten Jahren so viele gerne schmückten, hiess Daivörsity. Also Diversität, Unterschiedlichkeit, Verschiedenheit. Firmen, Verwaltungsräte und Politik sollten nicht länger bloss männlich, weiss und heterosexuell daherkommen, sondern gemischt, ja, geradezu bunt: weiblicher, homosexueller und migrantischer. Aber auch auf Mütter und Junge wurde plötzlich stärker geachtet. Oder auf trans Menschen und solche mit Handicap. Je kleiner und exklusiver die Minderheit ist, desto mehr Prestige verleiht sie jenen, die ihre schützende Hand über sie halten.

Wer wollte da etwas dagegen haben? Zumal man längst weiss, dass unterschiedliche Sichtweisen eine Bereicherung sind und diverse Teams häufig erfolgreicher. Aber unter all diesen Gruppen, die einen berechtigten Anspruch darauf haben, ebenfalls wahrgenommen und gehört zu werden, ging jemand vergessen: Die Alleinstehenden.

Diversity findet komplett ohne sie statt, die Singles kommen nirgends vor. Wer sie vergisst, hat aber keinen Shitstorm zu befürchten – denn es fällt ja nicht einmal jemandem auf, dass sie fehlen. Das allein ist angesichts der allenthalben zur Schau gestellten Sensibilität kurios genug. Noch kurioser aber ist es, weil die Alleinstehenden eine Gruppe sind, die jährlich grösser wird.

Gemäss neuesten Erhebungen des Bundes machen die Singles mittlerweile 37 Prozent aller Schweizer Haushalte aus. Jetzt sind zwar nicht alle Alleinlebenden automatisch alleinstehend, dennoch geben die Zahlen Aufschluss darüber, wie viele Menschen nicht das herkömmliche Modell von Partnerschaft oder Familie leben. Bei jedem anderen Phänomen, das seit Jahren so kontinuierlich wächst, hätte sich der Bund längst darum gekümmert, Expertengruppen eingesetzt, Studien erstellt und Millionen Franken dafür ausgegeben.

In der Schweiz, wo jedes Maiensäss und jeder Problemwolf erfasst sind, gibt es aber bis heute keine Daten darüber, wer diese Alleinstehenden sind, wie es ihnen finanziell geht, wie hoch ihr Durchschnittsalter ist, wo sie am häufigsten leben, wie viele von ihnen diese Lebensform bewusst wählen oder ob es mehr Frauen oder Männer sind. Über fast 40 Prozent der Haushalte gibt es einfach: nichts.

Wobei das zum Glück nicht ganz stimmt. Und hier kommen wir zum Geburtstagskind, das wir in dieser Ausgabe feiern wollen: Pro Single Schweiz ist die Lobbyorganisation, die sich um die Anliegen dieser Gruppe kümmert, die der Staat vergisst. Pro Single Schweiz macht die Alleinstehenden sichtbar und gibt ihnen eine Stimme. Und Präsidentin Sylvia Locher gibt ihnen ein Gesicht.
Beharrlich nimmt sie zu sämtlichen Sozialversicherungsvorlagen Stellung und ärgert damit jene, die natürlich wieder nicht an die Alleinstehenden gedacht haben – obschon sie sich doch als sehr progressiv verstehen –, und ihre Steuergeschenke lieber an die Mehrheitsgesellschaft verteilen. Mit Sylvia Locher haben sie keine einfache Gegnerin; sie kennt jede Zahl und jeden Abzug, kann aus dem Effeff ganze Statistiken aus allen möglichen Bereichen zitieren. Man muss sich warm anziehen, wenn man es mit ihr aufnehmen will.

Die nüchternen Zahlen sind das eine. Das andere, dass der Verein und Sylvia Locher gegen hartnäckige Bilder in den Köpfen kämpfen. Wie zum Beispiel, dass Alleinstehende halt doch irgendwie nicht komplett seien, so unverpartnert, wie sie sind. Oder egoistisch. Auch 2025 gelten Paare und vorab Paare mit Kindern als das Mass aller Dinge; die Idee, dass nur glücklich oder gar ein «wertvolles Mitglied der Gesellschaft» sein kann, wer zu zweit lebt oder eine Familie gründet, hält sich beinhart, aller Scheidungsraten zum Trotz.

In Serien, Filmen und Romanen jedenfalls sind die Helden fast ausschliesslich liiert und vor allem die Heldinnen müssen, wenn sie denn Single sind, stets an einer gescheiterten Beziehung mitsamt entfremdetem Kind leiden. Damit wird dem Publikum erklärt, dass die Frau eigentlich auf dem rechten Weg war, dann aber bedauerlicherweise ein Unglück passierte und sie sich jetzt deshalb in der leidigen Situation des Single-Daseins wiederfindet. Eine unverpartnerte Kriminalkommissarin, die mit sich und der Welt in Minne ist, weder traumatisiert vom Tod eines Partners noch sonstwie von Beziehungen gezeichnet, liegt deshalb nicht drin. Das bedeutet, dass Frauen in Film und Fernsehen letztlich immer noch über einen Mann definiert werden – selbst wenn dieser abwesend ist.

In den Medien sieht es nicht viel besser aus. Auch viele Journalistinnen und Journalisten gehören zur Mehrheitsgesellschaft, berichten also, durchaus verständlich, häufig über Themen der eigenen Lebensrealität. Etwa über die Vorteile des Vaterschaftsurlaubs oder über berufstätige Mütter, die – immer noch – ein Lieblingssujet sind. Und natürlich beschäftigten sie sich ausführlich mit der Einführung der Homo-Ehe, die zwar eine längst überholte Diskriminierung abschaffte, aber gleichzeitig eine andere zementierte, denn an der Ungleichbehandlung von Verheirateten und Unverheirateten änderte sie nichts. Dank der Ehe für alle werden nun insgesamt weniger Menschen diskriminiert, aber das macht die Sache für die anderen nicht besser. Aussen vor blieben, wie eigentlich immer, die Alleinstehenden, die nach wie vor von allen Vorteilen der Ehe ausgeschlossen bleiben.
Bloss getraute sich das kaum jemand zu sagen – ausser Pro Single Schweiz, versteht sich. Denn die Forderung, Menschen als Individuen und losgelöst von ihrem Zivilstand zu behandeln, ist weder von progressiven Kräften noch von jungen Wilden zu hören. Warum der – überaus volatile – Zivilstand über allerhand Wichtiges wie Erben oder Pensionskassenguthaben entscheidet, leuchtet zwar 2025 noch weniger ein als je zuvor, aber daran rütteln mag niemand. Auch von jenen, die sonst stets um Gleichstellung bemüht sind, gibt es keine Vorstösse zugunsten der Alleinstehenden. Dafür mannigfaltigste Ideen zur finanziellen Entlastung der Familien, von denen fast die Hälfte dank Abzügen nicht einmal Bundessteuern bezahlt. Wie Sylvia Locher dann wieder erklären muss.

Leuchtet ja ein, wahlstrategisch macht es mehr Sinn, Geschenke an die Mehrheitsgesellschaft zu machen. Deshalb verlangte die SP 2022 bei der Ersatzwahl der abtretenden Bundesrätin Simonetta Sommaruga, es sei nun an der Zeit für eine junge Mutter im Bundesrat. Sie merkte nicht, dass sie damit kinderlose und alleinstehende Frauen, die meist ihr ganzes Leben berufstätig sind und selbst für sich sorgen, gleichsam brüskierte.

Und so setzt sich niemand dafür ein, dass Alleinstehende, die Vollzeit arbeiten, ebenfalls entlastet werden, da ihnen ja niemand den berühmten Rücken freihält. Es setzt sich auch niemand dafür ein, dass sie nicht automatisch höhere Steuern zahlen müssen. Oder dagegen, dass ihr Nachlass geradezu unverschämt besteuert wird. Oder sie über ihr Pensionskassenguthaben nicht frei verfügen können. Der Staat und die Unternehmen haben ohnehin nichts dagegen, denn jeder tote Single lässt ihre Kassen klingeln. Es gibt noch sehr, sehr viel zu tun für Pro Single Schweiz.

Aber es gibt auch Lichtblicke. FDP-Ständerat Andrea Caroni hat den toten Winkel der Politik erkannt und ein Postulat eingereicht, das diesen beleuchten soll. Nun muss der Bundesrat einen Bericht über die Situation der Alleinstehenden verfassen. Damit wird die grosse Gruppe der Alleinstehenden endlich ins politische Bewusstsein gerückt und Vielfalt kann neu gedacht werden, nämlich echt divers – ein gesellschaftlicher Meilenstein und mit das Verdienst von Pro Single Schweiz. Dafür kann man dem Verein und Präsidentin Sylvia Locher gar nicht genug danken.

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