Ihren Lifestyle mag man nicht, ihr Geld hingegen sehr

Sonntagszeitung, 12.2.2017 von Bettina Weber

Singles gelten als einsam und bemitleidenswert. Dabei beherrschen sie etwas, das alle lernen sollten: Das Alleinsein.

Nachdem Kylie Minogue kürzlich die Trennung von ihrem Partner bekannt gegeben hatte, überboten sich die Medien mit Beileidsbekundungen. Und da schwang diese besondere Form von Mitleid mit, die man für Frauen wie Miss ­Minogue reserviert hat: Bedauern.

Kylie Minogue wird bedauert, weil sie 49 ist, kinderlos, unver­heiratet – und der Valentinstag steht auch vor der Tür. Die ­britische «Daily Mail» setzte noch einen drauf, indem sie eine Journalistin der Popsängerin zurufen liess: ­«Kylie, nicht traurig sein! Erfolgreiche Frauen wie wir ­werden immer alleine bleiben.» Damit zementierte sie mit einem einzigen Satz das Bild, wonach Frauen, die ihre Erfüllung weder in der Ehe finden noch ihrer ­biologischen ­Bestimmung nachkommen, einen Preis dafür zu ­bezahlen hätten: denjenigen der Einsamkeit.

Es gilt das Ideal vom Glück zu zweit

Die Vorstellung, dass Singles, Frauen insbesondere, zwangsläufig unglücklich sein müssen, hält sich hartnäckig. Der Scheidungsstatistik zum Trotz – und im ­Wissen darum, dass diese nur jene Paare erfasst, die sich tatsächlich trennen, nicht aber jene, die sich schon längst nichts mehr zu sagen haben, aber weiterhin in der ­Beziehung verharren – herrscht immer noch das Ideal vom Glück zu zweit. Und damit die Vorstellung, dass ein Mensch erst vollkommen wird durch eine Partnerschaft, ja, dass erst ein Gegenüber den Einzelnen zu einem Ganzen macht. Singles dagegen gelten als Fehler im System.

Das Bild widerspricht der Realität, denn mittlerweile machen die ­Alleinlebenden ein Drittel aller Haushalte aus, das entspricht 1,3 Millionen Menschen in der Schweiz. Wie viele davon Singles sind, lässt sich nicht eruieren, aber die gerne als egoistisch bezeichnete Lebensform nimmt zu. Bis 2030 wird der Anteil der Alleinlebenden auf 41 Prozent geschätzt. Ist das schlimm? Eben nicht.

Die soziale und die emotionale Einsamkeit

Die Singularisierung und Individualisierung der Gesellschaft, als deren hedonistische Vertreter die Singles gelten, hat mitnichten zu mehr Einsamkeit geführt, wie das oft behauptet wird. Weltweit zeigten Studien das Gegenteil: Gerade im Alter sind Menschen aus ­individualistischen Gesellschaften weniger einsam. Weshalb hält sich dann ungeachtet aller gesellschaftlichen Veränderungen die Idee von der Paarbeziehung als einzige und richtige Lebensform? Pasqualina Perrig, emeritierte Psychologieprofessorin der Uni Bern, sagt, es liege an diesem ausgeprägten, tief veranker­ten Wunsch nach Geborgenheit, danach, sein Leben teilen und sich auf jemanden verlassen zu können. Aber auch sie staunt darüber, wie negativ konnotiert das Singledasein ­immer noch ist – und wie sehr es gleichgesetzt wird mit Einsamkeit.

«Die emotionale Einsamkeit hat nichts mit dem Beziehungsstatus zu tun.»
Pasqualina Perrig

Dabei müsse man unterscheiden zwischen sozialer und emotionaler Einsamkeit: «Die soziale Einsamkeit besteht darin, dass man sich in einer fremden Stadt einsam fühlt. Das ist nicht so schlimm. Die emotionale Einsamkeit hingegen schon, sie beruht auf dem Gefühl, verlassen zu sein, keine intime ­Bezugsperson zu haben, niemandem sein Herz ausschütten zu können. Aber das hat nichts mit dem Beziehungsstatus zu tun.»

Es ist entscheidend, das Alleinsein zu lernen

Man braucht sich also in dieser Hinsicht um die Singles nicht zu sorgen. Studien zeigen eindeutig, dass sich die meisten von ihnen kaum je einsam fühlen. Und vor allem haben sie keine Probleme mit dem Alleinsein. Führende Einsamkeitsforscher wie der Amerikaner John Cacioppo oder die Niederländerin Jenny De Jong Gierveld betonen seit Jahren, wie essenziell die Fähigkeit sei, sich selbst auszuhalten. Der deutsche Physiker und Psychoanalytiker Dietrich Munz sieht das ebenso, er schrieb gar ein Buch darüber: «Die Fähigkeit, allein zu sein» heisst es.

Der Mensch, sagt er, sei sehr wohl ein soziales Wesen und als Säugling nur überlebensfähig dank einer engen Beziehung zu seinen Eltern. Das präge uns. Dennoch sei es entscheidend, das Alleinsein zu lernen; aus entwicklungspsychologischer Sicht sollten Kinder spätestens ab dem vierten Lebensjahr in der Lage sein, damit umzugehen. Eltern, die es weder sich noch ihrem Nachwuchs zumuten können, erweisen diesem einen Bärendienst, denn im Erwachsenenalter manifestiert sich die Unfähigkeit zum Alleinsein oft in Verlustängsten und im Klammern in Beziehungen.

Die Singles sind die «stille Reserve» des Staates

Dass man Alleinstehenden dennoch Einsamkeit unterstellt, hat nicht nur mit einem Klischee zu tun, sondern auch mit einem leichten Groll. Man empfinde sie als Verräter an der Familie, sagt ­Dietrich Munz: «Sie kommen dem ­gesellschaftlichen Ideal nicht nach, weil sie autonom leben.» Obschon die Familie als Hort der Glück­seligkeit längst entzaubert wurde, werde sie weiterhin glorifiziert.

«Man empfindet Alleinstehende als Verräter an der Familie.»
Dietrich Munz

Erst recht in unsicheren Zeiten wie diesen, wo ein Rückzug ins ­Innere zu beobachten ist und die Familie wieder verstärkt als Sehnsuchtsort gilt; Fachleute wie Munz sprechen von einem regressiven Verhalten. Dieses wiederum führt nicht dazu, dass sich die Akzeptanz von Singles verbessert, aber die konservativen Politiker freuts. Denn die mögen Alleinstehende nicht, deren Unabhängigkeit macht sie unberechenbar und schwerer kontrollierbar.

Der Staat rechnet fest mit den Singles

Wobei, stimmt nicht ganz: Wenn es ums Geld geht, erfreuen sich Singles grösster Beliebtheit von Seiten des Staates. Er rechne sogar fest mit den Alleinstehenden, sagt Sylvia Locher, Präsidentin des Vereins Pro Single Schweiz, und nennt sie dessen «stille Reserve». Denn Singles sind finanziell gesehen verlässlich: Im Unterschied zu Verheirateten, bei denen in der Regel die Frau zumindest vorübergehend nicht mehr berufstätig ist (und damit weder Steuern noch AHV bezahlt), arbeiten Singles meist Vollzeit und ihr Leben lang.

Sie sind nicht nur deshalb eine sichere Einnahmequelle, sondern auch, weil sie im Unterschied zu Familien und Paaren keine Abzüge geltend machen können. Die Politik, sagt Sylvia Locher, tue so, wie wenn sich die Gesellschaft ausschliesslich aus Paaren und Familien zusammensetzen würde: «Steuervergünstigungen für Alleinstehende gibt es nicht – selbst bei den SBB gibt es reduzierte Abonnements nur für Haushalte ab zwei Personen –, obschon ihr Leben teurer ist, da sie die Kosten mit niemandem teilen können.»

Lieber ein toter Single als ein lebender Single

Noch lieber als ein lebender Single ist dem Staat aus monetärer Sicht ein toter Single, denn von der Befreiung der Erbschaftssteuer sind Alleinstehende (sowie Kinderlose und Unverheiratete) ausgenommen: Ihr Nachlass wird kräftig besteuert, im Kanton Genf mit geradezu obszönen 50 Prozent.

Politikerinnen und Politiker sind hingegen überaus kreativ, wenn es darum geht, sich immer neue Abzugsmöglichkeiten und Steuererleichterungen für klassische Lebensformen auszudenken. Die Witwenrente beispielsweise wurde auf geschiedene Frauen ausgedehnt – und Konkubinatsväter sollen, wie Scheidungsväter, künftig ihren ehemaligen Partnerinnen Unterhalt zahlen. In beiden Fällen stellt sich nur schon aus Sicht der Gleichberechtigung die Frage, woher sich ein Recht der Frauen auf Finanzierung des Lebensunterhalts durch den ehemaligen Partner oder den verstorbenen Ex(!)-Gatten ergibt.

Lebenslang arbeiten und weniger Rente als Witwen

Die Singles gehen bei all diesen Überlegungen leer aus, die so oft bemühte Solidarität mit Minderheiten gilt für sie nicht. Dass einer alleinstehenden Frau, die ihr ­Leben lang für sich selbst gesorgt hat, im Alter weniger Geld zur Verfügung steht als einer Witwe, finden zwar alle unschön, aber die Witwe zählt eben dennoch mehr. Zumindest denken das die Politikerinnen und Politiker von links bis rechts, die Silvia Locher hinter vorgehaltener Hand attestieren, sie seien im Grunde auch gegen die Witwenrente für Frauen ohne Betreuungspflichten (also für Frauen, die keine Kinder haben oder deren Kinder ausgezogen sind), aber das sei «beim Volk nicht durchzubringen».

Es sei, hielt der Soziologe ­François Höpflinger unlängst in einem Artikel für das Magazin von Pro Single Schweiz fest, zunehmend fragwürdig, «wenn sich sozial- und steuerpolitische Regelungen und Massnahmen teilweise immer noch auf die offizielle Haushalt- und Familienzusammensetzung abstützen». Diese Ungleichbehandlungen wären ein Grund, die Singles zu bedauern. Alles andere nicht. Und Kylie Minogue muss man auch nicht bemitleiden. Entgegen dem Klischee kommen nämlich Frauen mit dem Alleinsein wesentlich besser zurecht als Männer.

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Kommentar

15.06.2017

Baur

Ja, Singles sollten sich wehren gegen dumme Sprüche wie "vierzig und noch nicht verheiratet, aha, also entweder verschroben oder schwul/lesbisch". Mögliche Replik darauf: "Ja, Sie werden wohl recht haben, ich bin kein Hinterwäldler"...? Oder: " Na und? Ich brauche weder eine Beziehung noch Kinder um damit bei den Nachbarn angeben zu können"? Weitere träfe Antworten wären gefragt

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