Man sollte sich mal um die Alleinstehenden kümmern

Tages-Anzeiger, 28.8.2017, Interview mit Sylvia Locher

Die Pro-Single-Organisation will die Rentenreform versenken, weil Ehepaare einen höheren AHV-Zuschlag erhalten. Die Politik bevorzuge Ehepaare, sagt Präsidentin Sylvia Locher.

Frau Locher, wollen Sie tatsächlich die Rentenreform versenken, nur weil Ehepaare einen etwas höheren AHV-Zuschlag erhalten als Singles?
Wir wollen mit einem Nein am 24. September eine fairere Lösung ermöglichen. Ehepaare erhalten eine Erhöhung um bis zu 226 Franken pro Monat oder bis zu 2712 Franken pro Jahr. Alleinstehende erhalten viel weniger, müssen den AHV-Ausbau aber über die höheren Lohnbeiträge voll mitfinanzieren. Bei den Alleinstehenden sind es vor allem die Ledigen, die benachteiligt werden. Die Witwen sind zwar auch alleinstehend, profitieren aber vom Ehepaarbonus bei der AHV.

Sie werden nie eine Reform einer derart komplexen Sozialversicherung hinkriegen, von der sich nicht eine Gruppe benachteiligt fühlt. Die Altrentner müssen auch mehr Mehrwertsteuer bezahlen, obwohl sie direkt von dieser Reform nichts haben.
Ein Unrecht wiegt ein anderes Unrecht nicht auf. Natürlich muss ein System als Ganzes funktionieren. Aber ich bin seit 20 Jahren bei Pro Single Schweiz und habe stets nur erlebt, dass den Alleinstehenden immer noch mehr aufgebürdet wird. Jüngstes Beispiel im Kanton Zürich: Die Einkommensgrenze wird erhöht, ab der Prämienverbilligung ausbezahlt wird. Wiederum sind die Ehepaare von dieser Verschlechterung ausgenommen. Wir haben uns gewehrt, und als Antwort wurde uns beschieden, es sei die sozialverträglichste Lösung, wenn Alleinstehende weniger erhielten.

Nochmals: Die Erhöhung der Ehepaarrenten bei der Rentenreform ist geringfügig. Ist es nicht verantwortungslos, deswegen eine Reform abzulehnen, die das Rentensystem vor dem Kollaps rettet?
Verantwortungslos ist es, diese Reform anzunehmen. Es ist eben generell so, dass immer von den Alleinstehenden zu den Ehepaaren umverteilt wird. Und auch bei dieser Reform befand das Parlament, dass man für die Ehepaare besser sorgen müsse. Die Allgemeinheit sollte sich mal um die Alleinstehenden kümmern. Auch die Linke verhält sich inkonsequent. 2016 lehnte die Linke die CVP-Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe ab, welche die Ehepaarrenten erhöhen wollte. Sie sagte, dass Ehepaare bei der AHV mit rund 800 Millionen Franken pro Jahr ohnehin im Vorteil seien. Und nun trägt die Linke die Erhöhung mit.

Die Linke hat bei der Erhöhung des Ehepaar-Plafonds mitgemacht, damit die CVP die Erhöhung der Einzelrenten mitträgt. Das ist ein Kuhhandel von vielen, damit notwendige Reformen wie die Rentenaltererhöhung der Frauen im Volk mehrheitsfähig werden.
Nochmals. Dieser sogenannte Kuhhandel ist unfair. Wenn man einen Kuhhandel macht, kann man nicht bei der einen Gruppe, den Verheirateten, die AHV-Renten mehr erhöhen als bei den anderen. Das geht einfach nicht. Eine Einzelperson bekommt 70 Franken mehr Rente, ein Ehepaar bis zu 226 Franken, also dreimal mehr. Das ist total unlogisch. Ein Paarhaushalt kostet nur 1,5-mal so viel wie ein Einpersonenhaushalt, von denen es in der Schweiz 1,3 Millionen gibt.

Die CVP-Initiative wollte allen Ehepaaren zwei volle AHV-Renten gewähren. Nun geht es darum, dass die Ehepaarrente höchstens 155 Prozent statt 150 Prozent einer maximalen Einzelrente beträgt. Es werden gerade mal zehn Prozent der CVP-Forderung erfüllt.
Es geht nicht um die Forderung dieser Partei. Uns geht es ums Prinzip, dass immer einzig zu den Ehepaaren geschaut wird. Jetzt wird damit argumentiert, dass die Zahl der berufstätigen Ehefrauen zugenommen habe. Deshalb solle der Ehepaar-Plafonds auf 155 Prozent erhöht werden. Von der Erhöhung des Ehepaar-Plafonds profitieren aber auch Ehefrauen, die nicht berufstätig sind. Warum hat denn das Parlament im Gegenzug nicht endlich die längst fällige Korrektur bei den Witwenrenten vorgenommen? Es sollten nur noch Witwen mit Kindern im betreuungspflichtigen Alter eine Rente bekommen. Die anderen Witwen können erwerbstätig sein und sind das in der Regel auch. Auch die Zusatzrenten für Väter im Rentenalter hat das Parlament nicht gestrichen. Das sind alles Luxusgeschenke für die Ehepaare, die nicht angetastet werden.

Auch die AHV-Renten für Ehepaare, bei denen beide voll erwerbstätig sind, sind plafoniert. Obwohl beide ein Leben lang in die AHV einzahlen, erhalten sie am Schluss bloss 1,5 Renten oder künftig 1,55 Renten. Ist das nicht noch ungerechter als die Benachteiligung der Singles?
Ich verstehe alle Doppelverdiener-Ehepaare, die sich bei der AHV benachteiligt fühlen. Dann soll man die staatlichen Leistungen für Ehepaare grundsätzlich neu beurteilen. Unter dem Strich kosten Ehepaare die AHV insgesamt nach wie vor viel mehr, als sie ins System einzahlen. Das Konzept der Ehepaarrente stammt von 1948. Damals waren die meisten Ehefrauen nicht berufstätig und konnten nicht in die AHV einzahlen. Es muss eine prinzipielle Betrachtung geben, welche Leistungen für die Ehepaare noch gerechtfertigt sind und welche nicht.

Scheitert die Reform, wird die AHV rasch in Schwierigkeiten kommen, denn ein Konsens über eine neue Reform ist nicht in Sicht. Wollen Sie mit einem Nein in Kauf nehmen, dass auch die Renten der Alleinstehenden gefährdet sind?
Ich vertraue der Politik, dass sie rechtzeitig eine Lösung findet. Ich hoffe, dass die 70 Franken und die höheren Ehepaarrenten wegfallen. Die AHV-Erhöhung um 70 Franken frisst genau jenen Betrag weg, der mit der Erhöhung des Frauenrentenalters eingespart wird. Letzteres sage ich aber persönlich, nicht als Präsidentin von pro Single Schweiz.

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