Ökonomen fordern eine kinderabhängige AHV-Rente

NZZ am Sonntag, Radio SRF1, TeleZüri 16.7.2023

Der Ökonom Wolfram Kägi will eine kinderabhängige AHV-Rente. Die Rente soll von der Anzahl Kinder abhängen. Das würde bedeuten, dass Kinderlose weniger Rente erhielten.

Diese Forderung ist in aller Deutlichkeit abzulehnen. Es werden nämlich jene bestraft, die sowieso mehr Steuern bezahlen (alle Kinderlosen bezahlen Bundessteuern, von den Paaren mit Kindern jedoch nur gut die Hälfte) und höhere AHV-Beiträge abliefern. Ausserdem trifft es kinderlose Alleinstehende noch mehr, weil sie sowieso zum höheren Tarif besteuert werden. Also mehr bezahlen und am Schluss die Hälfte erhalten. Auf keinen Fall!

Unsere Meinung wurde unter anderem in folgenden Medien vertreten:
NZZ am Sonntag
Radio SRF1
TeleZüri

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Kommentar

20.07.2023

Therese Borer, ehemaliges Vorstandsmitglied

«Die AHV leidet an einem Konstruktionsfehler: Sie ignoriert die Tatsache, dass es ohne Kinder auch keine künftigen Renten mehr gibt. Stattdessen wird einfach angenommen, dass stets genügend Familien da sind, welche Kinder aufziehen – und damit einen Dienst für die Allgemeinheit leisten.» formuliert Wolfram Kägi in seinem Artikel in der NZZ am Sonntag vom 16. Juli 2023. Der Konstruktionsfehler der AHV liesse sich viel kürzer fassen: «Die AHV leidet an einem Konstruktionsfehler: Sie ist eine Art Schneeballsystem." Dass sie bei "zuwenig Nachwuchs" ins Wanken kommt, ist eine schlechte Nachricht für Leute mit rosa Brille, eine gute hingegen fürs Klima.

Der Autor des Artikels vertritt eine Scheuklappen-Sichtweise. Weil sich die heute aktiven Generationen Sorgen um ihre Altersrente und -betreuung machen, soll das Kinderhaben durch ökonomische Anreize gefördert werden, damit das Leben in Zukunft so weitergehen kann, wie man es gerne hätte? Welch' ego- und anthropozentrische Sichtweise! Es sollen Anreize geschaffen werden, damit mehr Leute Kinder bekommen, weil es sich "lohnt"? Mich erinnert diese eindimensionale Betrachtung an die Klimadiskussionen, auch dort wird einäugig der "Ausstoss" von CO2 thematisiert, der entscheidende Faktor jedoch ausgeblendet: Der CO2-Ausstoss pro Kopf kann lange weiter vermindert werden, wenn nicht auch der Multiplikator zumindest stabil bleibt oder verringert wird, kann keine dieser theoretischen Hochrechnungen aufgehen, denn der alles entscheidende Multiplikator ist nun mal die Anzahl Menschen, die auf diesem Planeten leben. Die Erde ist bereits heute massiv überbevölkert, und je mehr Fussabdrücke, desto grösser die Belastung. DAS ist das grundlegende Problem. Die Prognose, dass sich die Bevölkerung in Südkorea bis zum Ende des Jahrhunderts halbieren werde, wäre eine hoffnungsvolle - wenn sie denn auf alle Länder und Kontinente übertragen werden könnte. Massnahmen gegen eine Abnahme der Erdbevölkerung wären alles andere als nachhaltig, nötig wäre stattdessen eine nüchterne Gesamtbetrachtung der Situation, und die Akzeptanz, dass das eine gute Entwicklung ist - die Bevölkerung muss schrumpfen, um die Erde am Leben zu erhalten.

Eine vergleichbare Reaktion erleben wir derzeit wegen der Inflation: Es wird immer noch quasi als Menschenrecht betrachtet, dass es den Leuten wirtschaftlich stets besser gehen muss. Das kann und wird es nicht. Die Politik täte besser daran, statt finanzielle Erleichterungen für die Leute zu fordern, ganz nüchtern festzustellen, dass es auch Zyklen geben kann, wird und darf, wo es den Leuten schlechter geht als bisher. Warum wird Gürtel enger schnallen zum vornherein als No-go gesehen? So wie's aufwärts gehen kann, kann's auch mal wieder runter gehen, nachzulesen in jeder Menschheitsgeschichte, und an so einem Kipppunkt befinden wir uns gerade. Wir erleben "History live", stehen mittendrin und merken's nicht, weil man uns vorgaukelt, es gebe nur eine mögliche Richtung, und die sei aufwärts? Oekonomen wie Politiker (selbstverständlich auch die -innen!) sind gebeten, ihren Blickwinkel zu erweitern, die ökonomische, ökologische und verteilungskämpferische Ausgangslage ohne Eigeninteressen der heute Lebenden zu analysieren und schonungslos darzulegen, statt sie in ein Gespinst von Ideologie und Wunschdenken zu einer rosigen Zukunft zu betten.

Wolfram Kägi ist bewusst, dass ein Umbau der AHV Jahrzehnte brauche, weil die Betroffenen genügend Zeit benötigten, um eine ergänzende Vorsorge aufzubauen. Echt jetzt, da wird mit "Jahrzehnten" gerechnet, in einer unberechenbaren Welt, von der man heute schon nicht weiss, wie sie morgen aussieht? Persönlich würde ich mir auch wünschen, dass sich eine stabile Zukunft planen liesse, doch die Gegenwart lehrt uns, dass die halbwegs berechenbaren Zeiten vorbei sind. Wer hätte nur schon vor fünf Jahren die heutigen Realitäten für möglich gehalten - Pandemie, Klimawandel, Schuldenberge, Krieg in Europa, Inflation? Eben. Ich bin noch mit dem Versprechen aufgewachsen, dass eine Bank oder Versicherung garantiert nie ausfallen kann, doch auch da haben die letzten zwei Jahrzehnte eine andere Geschichte geschrieben. Heute ist doch jedes Leistungsversprechen in die ferne Zukunft zum vornherein Makulatur, "garantiert" gibt's nicht mehr.

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