Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform)

Bulletin 3/24, September 2024

Vorbehalte aus Sicht der Alleinstehenden

Am 22. September 2024 stimmen wir über die BVG-Reform ab. Selten waren sich die politischen Lager so uneins wie bei dieser Vorlage. Die Pensionskassen untereinander sind sich nicht einig, auch innerhalb des bürgerlichen Lagers gibt es verschiedene Ansichten. Ausserdem befürwortet alliance F, der eher linksstehende Frauendachverband, diese Reform, obwohl der Schweizerische Gewerkschaftsbund das Referendum gegen die Reform ergriffen hatte. Letzterer spricht von Rentenklau. Wer stiehlt wem was? Am meisten zur Kasse gebeten würden einmal mehr die Alleinstehenden ohne Kinder.

Die BVG-Reform in Kürze
In der 2. Säule soll der Mindestumwandlungssatz von 6.8 auf 6.0 Prozent gesenkt werden. Eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen würde lebenslang Rentenzuschläge erhalten, um eine eventuelle niedrigere Rente zu kompensieren, selbst wenn sie von einer Rentenkürzung gar nicht betroffen sind. Der Koordinationsabzug würde neu vom Lohn abhängen und die BVG-­Eintrittsschwelle gesenkt. Die Sparbeiträge, auch Altersgutschriften genannt, würden für ältere Personen gesenkt, für jüngere angehoben.

Was spricht für die Reform?
Durch die geplante Senkung der Eintrittsschwelle von 22 050 auf 19 845 Franken sowie die Anpassung des Koordinationsabzugs an den Lohn wären mehr Personen im BVG versichert. Das betrifft vor allem jene mit niedrigen Löhnen oder mit Teilzeitpensen. Ebenfalls positiv zu bewerten ist die Angleichung der Altersgutschriften von jüngeren und älteren BVG-Pflichtigen. Die tieferen Altersgutschriften für Ältere könnten sich bei der Stellensuche positiv auswirken.

Was spricht gegen die Reform?
Allein die Rentenzuschläge würden Kosten in der Höhe von rund 0,8 Milliarden Franken pro Jahr verursachen, was für die 15 Jahrgänge der Übergangsgeneration 12 Milliarden Franken ergäbe. Diese Umverteilung im Giesskannenprinzip ist aus folgenden Gründen abzulehnen:

1) Die 2. Säule basiert auf individuellem Sparprozess
Die Altersvorsorge der zweiten Säule basiert auf einem obligatorischen individuellen Sparprozess. Das während der Erwerbsjahre auf dem Konto der Versicherten angesparte Altersguthaben dient der Finanzierung ihrer persönlichen Altersrente. Ein individueller Sparprozess beinhaltet keine Umverteilungen.

2) Systemwidrige Umverteilungen
Trotz des individuellen Kontos gilt aber die Kollektivität. Das BVG sieht ausser der Altersrente auch noch andere Leistungen vor wie Hinterlassenenrenten für Verwitwete sowie hinterbliebene Konkubinatspartner und -partnerinnen, Waisenrenten, Kinderrenten für Altersrentner bzw. -rentnerinnen. Alleinstehende Personen, die keine Kinder haben, müssen diese Leistungen mit ihren Beiträgen ebenfalls mitfinanzieren. Und wenn sie sterben, bleibt ihr Vorsorgekapital grösstenteils in der Pensionskasse (= Mutationsgewinn). Diese Ungerechtigkeit besteht schon seit der Einführung des BVG 1985 und wurde nie hinterfragt. Das Parlament hat es bis jetzt immer unterlassen, die Anliegen der Alleinstehenden in Reformen einzuflechten. Dabei war bereits im saldo 05/2016 zu lesen: «Der Pensionskassen-Spe­zialist Stefan Thurnherr vom VZ Vermögenszentrum schätzt, dass die Schweizer Pensionskassen dank den frühzeitig verstorbenen Ledigen jedes Jahr Altersguthaben von 500 Millionen bis zu einer Milliarde Franken einnehmen.» Diese Zahlen seien heute nicht mehr so hoch, liess uns das VZ Vermögenszentrum kürzlich wissen. Die Pensionskassen hätten inzwischen deutlich optimiert. Wie hoch die umverteilte Summe tatsächlich noch ist, könnten sie nicht sagen. Diese Zahlen wären auch Teil des 2023 von FDP-Ständerat Andrea Caroni eingereichten Postulats für einen Bericht zur «Stellung der Alleinlebenden in der Schweiz», welches vom Ständerat an den Bundesrat überwiesen wurde. Seit einem Jahr harrt es nun im Departement des Innern der Bearbeitung.

Im Weiteren schrieb die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge OAK BV anlässlich ihrer diesjährigen Jahresmedienkonferenz: «Anzustreben ist, dass keine Quersubventionierung einer bestimmten Versichertengruppe über mehrere Jahre stattfindet. … Die Finanzierung von Pensionsansprüchen erfolgt in der beruflichen Vorsorge mittels Kapitaldeckungsverfahren. Das heisst, die Beiträge jedes Versicherten werden individuell angespart, um individuell jenes Kapital zu bilden, das bei der Pensionierung seine Rente finanziert.» Auch diese Aussage stimmt nicht mit der Realität überein. Eine «bestimmte Versichertengruppe» wird systematisch zur Querfinanzierung herangezogen – die kinderlosen Alleinstehenden. Sie sind die unsichtbaren vierten Beitragszahlenden, nebst Arbeitnehmenden, Arbeitgebern und Kapitalmarkt.

3) Verknüpfung von Beruf und Rente
Das BVG (Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge) definiert Mindestleistungen für das Alter, im Todesfall und bei Invalidität. Wie es der Name schon sagt, geht es um die berufliche Altersvorsorge. Mit anderen Worten: Diese Vorsorge hängt – anders als bei der AHV – eng mit dem Beruf resp. mit einer Erwerbstätigkeit zusammen. Während bei der AHV auch nicht berufstätige Ehefrauen eine Rente erhalten, ist die Auszahlung einer BVG-­Alters­rente an persönliche Beitragszahlungen geknüpft.

4) «Die Frauen»
Sowohl Befürworterinnen wie Gegnerinnen dieser Reform beanspruchen für sich, im Namen «der Frauen» zu sprechen. Man kann es nicht oft genug wiederholen: «Die Frauen» sind keine homogene Gruppe. Dieser Begriff ist vor allem bei der Altersvorsorge unangebracht, denn mehrheitlich sind damit Ehefrauen, Mütter und Hausfrauen gemeint. Es geht Befürworterinnen und Gegnerinnen in erster Linie um Frauen, die teilzeitlich – zum Teil in sehr niedrigen Pensen, auch vor und nach der Kinderphase – berufstätig sind. Die Rentenzuschläge kämen wahrscheinlich zum grossen Teil ihnen zugute. Die Kinderbetreuung wird jedoch bereits mit den Erziehungsgutschriften in der AHV abgegolten. Eine zusätzliche Abgeltung im BVG ginge zu Lasten der übrigen Beitragszahlenden, z.B. erneut auch der Alleinstehenden.

Viel zielführender wäre, wenn Frauen länger im Beruf blieben, nach der Kinderphase schneller wieder einstiegen und vor allem in einem höheren Pensum arbeiteten. Keine Frau hat 45 Jahre lang kleine Kinder zu betreuen.

Bei bisherigen Reformen der Altersvorsorge stand immer die (berechtigte) Frage im Vordergrund: Was brauchen die Frauen? Die Voraussetzungen wie Bildungsstand der Frauen, Fachkräftemangel oder Akzeptanz der Frauen im Berufsleben haben sich inzwischen geändert und die Frage müsste heute lauten: Was können Frauen zu ihrer Altersvorsorge beitragen? Die Antwort lautet: Eine höhere Berufstätigkeit erhöht die Rente. Je mehr, desto besser. Es braucht keine weiteren Umverteilungen.

 

zurück

Kommentar

email address:
Homepage:
URL:
Comment:

Name:

E-Mail (Pflichtfeld, nicht öffentlich):

Kommentar :

Prüfziffer:
15 minus 6  =  Bitte Ergebnis eintragen