Sylvia Locher: «Manchmal fühle ich mich wie eine Leibeigene des Staates»

Nebelspalter, 1. Dezember 2022, von Camille Lothe

Beliebtheit ist in der Politik einfach erkauft: Mit einer familienfreundlichen Politik und Geldgeschenken für alle möglichen Minderheiten wird die Gunst der Wähler gewonnen. So auch bei der Revision der beruflichen Vorsorge. Der Ständerat plant für benachteiligte Frauen weitgehende Ausgleichsmassnahmen. Dies gehe zu stark auf Kosten der Alleinstehenden, findet Sylvia Locher, Präsidentin von Pro Single Schweiz. Sie fordert: «Es braucht Gerechtigkeit».

Was wichtig ist:

  • Mit ihrem Verein setzt sich Sylvia Locher für die Interessen der Alleinstehenden ein.
  • Besonders betroffen sind Alleinstehende bei der beruflichen Vorsorge: Das angesparte Vermögen geht nach dem Tod an die Pensionskasse.
  • Bei der SRG dürfen Singles nur über ihr Einkaufsverhalten berichten. In den Fokus der Arena passen sie nicht.


Mit ihrem Verein setzt sich Sylvia Locher vor allem im Bereich Sozialversicherungen, Steuern und Erbrecht für Alleinstehende ein. Der Verein wurde 1975 gegründet, nachdem ledige Frauen am Frauenkongress festgestellt hatten, dass ihre Interessen politisch überhaupt nicht wahrgenommen wurden.

Im Zentrum standen Ehefrauen. «Noch vor ein paar Jahrzehnten existierten die Frauen in der Öffentlichkeit nicht. Sie haben gearbeitet, Steuern bezahlt und durften froh sein, dass sie eine eigene Wohnung haben durften.» In dieser Zeit wurde unser Verein unter dem Namen «Arbeitsgemeinschaft unverheirateter Frauen» gegründet. «Doch ab einem bestimmten Zeitpunkt stellten wir fest, dass die Probleme auch ledige Männer betreffen. Oder einfach gesagt: Alleinstehende ohne Kinder.»

Wir sind nicht familienfeindlich

Alleinstehende sind dabei keine kleine Splittergruppe. Etwa ein Drittel aller erwachsenen Personen ist ledig. Ein Viertel aller Frauen und Männer zwischen 18 und 80 Jahren lebt ohne Partner in einem Singlehaushalt. Obwohl dieser Anteil an der Gesamtbevölkerung beachtlich ist, finden diese kein oder zu wenig Gehör. Doch Sylvia Locher lässt sich davon nicht abschrecken: «Wir hinterlassen oft den Eindruck, eine familienfeindliche Organisation zu sein. Doch das stimmt nicht».

Die Forderungen von Pro Single Schweiz sind einfach: «Wir wollen nicht, dass im Parlament immer mehr Beschlüsse gefasst werden und mehr Geld verteilt wird, das wir, als alleinstehende Personen, zum grossen Teil finanzieren müssen». Für Sylvia Locher ist klar: «Sobald ein Haushalt aus mehr als einer Person besteht, hat er etwas zugute: Abzüge bei den Steuern, Renten aus den Sozialversicherungen, auch wenn selbst keine Beiträge eingezahlt wurden».

Alleinstehende werden immer zur Kasse gebeten

Fakt ist: Alleinstehende ohne Kinder sind im Nachteil. «Generell herrscht eine paar- oder familienfreundliche Preisgestaltung: beim Öffentlichen Verkehr, bei Kurskosten, bei Jahresbeiträgen für Vereine oder bei Eintrittspreisen. Jedoch haben Alleinstehende nie etwas zu gut, sondern finanzieren immer etwas quer», meint Sylvia Locher.

Dies zeigt sich besonders bei der beruflichen Vorsorge. Eigentlich spart jeder für sich selbst. Doch längst hat sich hier eine Umverteilung eingeschlichen. Sylvia Locher erklärt: «Alleinstehende versichern genau dasselbe Risiko wie verheiratete Menschen. Doch, wenn sie sterben, geht das angesparte Vermögen in der zweiten Säule zurück an die Pensionskasse.» Schätzungsweise nehmen die Pensionskassen dank früh verstorbener Singles jährlich 500 Millionen bis zu einer Milliarde ein. Diese Gelder werden nach dem Tod für die zusätzlichen Leistungen für Eltern und Paare umverteilt.
Selbstverständlich bezahlen die Alleinstehenden

Sylvia Locher hat klare Lösungen gegen die Umverteilung. «Fair wäre, wenn Alleinstehende einen tieferen Tarif bezahlen müssten.» Diesen Vorschlag unterbreitete sie schon vor Jahren einem Mitarbeiter des Bundesamtes für Sozialversicherungen. «Der meinte dann: «Das geht doch nicht. Dann müssten ja alle anderen mehr Prämien bezahlen.» Es sei eine Selbstverständlichkeit, dass die Alleinstehenden solidarisch den vollen Beitrag bezahlen.»

 «Es braucht Gerechtigkeit. Man könnte die Frage auch einmal umdrehen: Was kann man den Alleinstehenden zurückgeben, die das System quersubventionieren? Diese Frage stellt sich niemand. Dabei wäre dies eine wirklich progressive Frage.»

Bei der Erbschaftsteuer greift der Staat zu

Ähnlich ist die Situation bei der Erbschaftssteuer: Innerhalb der Ehe und von den Eltern zu den Kindern darf steuerfrei vererbt werden. Bei alleinstehenden Personen fallen hohe Erbschaftssteuern an: «Da greift der Staat sofort zu und kassiert Erbschaftssteuern». Für alle solle das gleiche Recht gelten, meint Locher. «Keine Privilegierung der Familie. Das wäre höchstens gerechtfertigt, wenn noch kleine Kinder existieren. Aber in der Regel sind die Erben ja bereits älter als 40.»

Sylvia Locher ist in einer undankbaren Position. «Manchmal fühle ich mich wie eine Leibeigene des Staates», erzählt sie. Die Politik zeige wenig Wertschätzung für die Alleinstehenden. «Das funktioniert nur, weil sich im Parlament alle für Familien einsetzen möchten, doch die Alleinstehenden sind keine attraktive Wählergruppe».

Singles sind selber Schuld

Sichtbar wird dies auch bei den Fernsehgebühren der Serafe. «Eine Familie mit fünf Personen hat die gleichen Gebühren, doch es profitieren vier Personen mehr. Wir wären dafür, dass jede erwachsene Person eine Gebühr bezahlt.» Doch für das Bundesverwaltungsgericht ist dies keine Benachteiligung, «da Singles ja nicht alleine bleiben müssen». Die Benachteiligung ist damit selbstverschuldet.

Unsichtbar bleiben Singles auch bei der SRG: Nach einem Vorgespräch mit der Arena-Redaktion zum Thema Individualbesteuerung wurde Locher wieder ausgeladen. Die Begründung für die Absage? Der Fokus liege auf Paaren und Eltern.

Gut genug für Small Talk

«Es ist einfach so, dass wir bei grundlegenden Themen wie der Besteuerung, den Sozialversicherungen oder den Serafe-Gebühren Alleinstehende nicht zu Wort kommen. Haben Sie bei der Arena etwa eine alleinstehende Frau oder einen alleinstehenden Mann gesehen?»

Gut genug für die SRG seien die Alleinstehenden aber für Small Talk, wie Locher ausführt und dazu ein Beispiel gibt: Beim «Singles’ Day», dem Tag für die Alleinstehenden, sei sie für ein Statement aufgeboten worden. Sie wehrte sich aber: «Ich möchte nicht einfach für Small Talk Themen angefragt werden, sondern unser Verein hat ganz klare politische Interessen.» Die SRG interessierte sich jedoch nur für ihr Einkaufsverhalten als Single. «Singles hat man gern bei Belanglosigkeiten. Bei den politischen Diskussionen werden wir vertröstet. Alleinstehenden stehen gerade nicht der Fokus.»

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Kommentare

26.12.2022

Aebli

Oh la la - "keine Benachteiligung, «da Singles ja nicht alleine bleiben müssen»" - dieser lächerliche Killersatz ist ja wohl der Gipfel der Ignoranz, das hohe Gericht zeigt damit wunderbar das Kindergartenniveau, auf dem das Thema überall abgekanzelt statt abgehandelt wird. Aber schon klar - diese Naivität ist nur vorgeschürzt, um einer peinlichen Auseinandersetzung mit möglicherweise gerade nicht passenden Folgerungen zu entgehen.
Danke, Sylvia, nicht aufgeben, bitte.

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