Wahlen 2019

Bulletin 1/2019, Pro Single Schweiz von Sylvia Locher

Im Herbst stehen die Wahlen für das Schweizer Parlament auf dem Plan. Die Kantone wählen ihre Vertreterinnen und Vertreter in den National- und Ständerat. Die Kantone, das sind wir – Individuen mit persönlichen Wünschen. Wenn die Erwartungen in klar definierte Richtungen wie Wirtschaft, Familie, Migration, Europa oder Steuersenkungen gehen, zeichnet sich relativ schnell ab, wer welche Partei favorisiert. Dann gilt es nur noch, den richtigen Wahlzettel in die Urne zu legen. Wenn aber das Kernthema für die Wählerin oder den Wähler «Alleinlebende, Alleinstehende, Singles oder Einpersonenhaushalte» heisst, wird es schwierig. Bei keiner der gängigen Parteien befindet sich eines der genannten Stichworte im Werbeslogan. Allenfalls werden nichtssagende Sammelbegriffe wie «weniger Steuern für alle» oder «günstige Wohnungen für alle» verwendet, was meistens mit dem Giesskannenprinzip einhergeht und nichts an bestehenden Ungerechtigkeiten ändert.

Jedes Mitglied des Parlaments legt vor seinem Amtsantritt den Eid oder das Gelübde ab. Der Eid lautet «Ich schwöre vor Gott dem Allmächtigen, die Verfassung und die Gesetze zu beachten und die Pflichten meines Amtes gewissenhaft zu erfüllen.» und das Gelübde «Ich gelobe, die Verfassung und die Gesetze zu beachten und die Pflichten meines Amtes zu erfüllen.» In der Bundesverfassung steht, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind. Gleichzeitig wird das Recht auf Ehe und Familie bekräftigt. Ehe und Familie stünden unter dem besonderen Schutz des Staates, liess auch der ehemalige Bundesrat Rudolf Merz verlauten. Die Begriffe «alleinstehend» oder «ledig» kommen in der Verfassung nicht vor. Wen wundert’s, wenn diese Personengruppe nicht explizit wahrgenommen wird. Umso wichtiger ist eine gezielte Auswahl der Vertretenden für den National- und Ständerat.
Das einfachste wäre, diejenigen Frauen und Männer, die für einem selbst in Frage kommen, anzufragen, ob und was sie für die genannte Personengruppe zu tun gedenken. Das Problem ist aber, dass viele gar nicht wissen, wo die Interessen der Alleinlebenden, Alleinstehenden oder Singles liegen und dass diese in vielerlei Hinsicht benachteiligt sind. Das haben unzählige Gespräche mit Politikern und Politikerinnen gezeigt. Darum ist es wichtig, gezielt Fragen zu formulieren und vielleicht auch ein paar Zahlen zu liefern. Aus unserer Sicht sind folgende Kriterien wichtig:

Gleichstellung

Die Gleichstellung bezieht sich in der öffentlichen Meinung praktisch immer auf den Vergleich zwischen Männern und Frauen, z.B. bei der Lohngleichheit. Per se ist Gleichstellung jedoch nicht geschlechtergebunden. Singles sind eine benachteiligte Gruppe in Bezug auf Steuern und Gebühren, Sozialversicherungen und Erbschaftssteuern und haben einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit Paaren. Die Gleichstellung zwischen Singles und Paaren sollte zumindest zwischen Erwachsenen hergestellt werden.

Singles sind kein halbes Konkubinat

Einer der grössten Irrtümer in Gesellschaft und Politik ist die Meinung, eine alleinstehende Person oder ein Single sei ein halbes Konkubinat. Über welches sozial- oder gesellschaftspolitische Thema auch immer verhandelt wird, stets werden Ehepaare mit Konkubinatspaaren verglichen. Der Vergleich mit den Alleinlebenden findet nicht statt. Deshalb ist es umso wichtiger, dass das Postulat 18 3947 von a.Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer tatsächlich überwiesen wird, damit der Bundesrat die Fragestellungen analysieren und den geforderten Bericht zur Situation der Alleinstehenden bei Steuern und Sozialversicherungen vorlegen muss.

Steuern

Die Steuern sind ein Paradebeispiel für den verhängnisvollen Fehlschluss «Singles = halbes Konkubinat». Sämtliche Anpassungen bei Steuertarifen resp. –abzügen wurden und werden immer noch im Hinblick auf das Verhältnis von Verheirateten zu Konkubinatspaaren gemacht. Beiden ist gemeinsam, dass sie theoretisch zwei Einkommen erzielen und ihre Kosten teilen können. Beim Einpersonenhaushalt ist es genau umgekehrt. Dieser kann höchstens ein Einkommen generieren und keine Kosten teilen. Vollkommen vernachlässigt wird ebenso, dass auch unter den Zivilständen und/oder Wohnformen Unterschiede bestehen. Der Steuertarif ist nicht für alle gleich. Ledige werden zu einem höheren Steuertarif veranlagt als Verheiratete. Öffentlich beklagt wird jedoch nur die sogenannte Heiratsstrafe bei der direkten Bundessteuer, die daher rührt, dass die Einkommen eines Ehepaares zusammengezählt werden und sie somit in eine steilere Progression geraten. Diese «Heiratsstrafe» wird übrigens nur im Vergleich mit Konkubinatspaaren konstatiert. Ein Haushaltsabzug für Einpersonenhaushalte, wie ihn der Kanton Bern kennt, existiert nur in wenigen Kantonen.
Würde man Ehepaare lediglich mit den unverheirateten und alleinlebenden Personen vergleichen, würde eine «Single-Strafe» sichtbar. Bei der direkten Bundessteuer zeigt sich diese schon bei einem Bruttoeinkommen von 50 000 Franken. Mit zunehmendem Bruttoeinkommen steigt die Differenz stetig zulasten von Singles (siehe Bulletin Pro Single Schweiz 2/18, Referat von Marco Salvi, Avenir Suisse). Gemäss Salvi würden Singles insgesamt – würden sie wie Ehepaare besteuert – 9 % weniger Personensteuern bezahlen.

Einpersonenhaushalte

2017 gab es in der Schweiz rund 3,7 Mio. Haushalte. Etwa ein Drittel aller Haushalte (35 %)  sind Einzelhaushalte (EPH), das ist die grösste Kategorie in der Schweiz. 33 % sind Zweipersonenhaushalte, je 13 % sind Drei- oder Vierpersonenhaushalte. Einpersonenhaushalte sind nicht in erster Linie vom Beziehungsstatus (siehe folgende Tabelle) abhängig. Das heisst, auch Personen in Beziehungen leben in EPH. Knapp 40 % aller Frauen und Männer im Alter von 18 – 80 Jahren sind in Sachen Gebühren und Abgaben rund um den Haushalt benachteiligt. Dazu gehören die Radio- und Fernsehgebühren, Abfallgebühren oder Wohn-Nebenkosten. Ausserdem sind kleine Wohnungen im Verhältnis teurer als grosse.

Äquivalenzskala

Die Lebenshaltungskosten pro Kopf sind beim EPH die höchsten. Die Mehrpersonenhaushalte geben zwar insgesamt mehr aus als EPH, um den gleichen Lebensstandard zu erreichen. Dafür ist jedoch keine lineare Steigerung notwendig, da sich aus der gemeinsamen Nutzung von Wohnraum und Konsumgütern Einsparungseffekte bei einem Mehrpersonenhaushalt ergeben. Die Pro-Kopf-Ausgaben sind also tiefer.
Die OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development = Organisation für wirtschaftliche Zu­sam­menarbeit und Entwicklung) hat eine sogenannte Äquivalenz-Skala erstellt, die aufzeigt, wie teuer ein Mehrpersonenhaushalt im Vergleich zu einem EPH bei gleichem Lebensstandard ist. Beispiel: 2 Erwachsene und 1 Kind kosten 1,8 Mal so viel wie ein Einpersonenhaushalt.

Sozialversicherungen

Wir machen in unseren Bulletins und Stellungnahmen zu Vernehmlassungen immer wieder darauf aufmerksam, dass Alleinstehende Ehepaare (bei der AHV) oder Paare generell (bei der Pensionskasse) quersubventionieren. Auch in diesem Bereich werden grossmehrheitlich Vergleiche zwischen Ehe- und Konkubinatspaaren hergestellt. Beklagt wird vor allem der Ehepaarplafond von 150 % Rente bei der AHV. Was aber grosszügig ausgeblendet wird: Ehepaare und Familien als Gesamtheit beziehen einen «Heiratsbonus» von 800 Millionen Franken pro Jahr. Diese setzen sich aus verschiedenen Elementen zusammen: Auch nicht berufstätige Ehefrauen erhalten eine AHV-Rente. Dafür musste aber der berufstätige Ehemann keinen Franken zusätzlich in die Kasse einzahlen. Oder Väter im Rentneralter erhalten noch eine Kinderrente zusätzlich zur AHV-Rente. Und die Witwenrente ist nicht nur – wie es Pro Single Schweiz seit Jahren fordert – den Frauen mit Betreuungspflichten vorbehalten. Bei der Pensionskasse existiert ebenfalls eine «Single-Strafe»: Der Pensionskassen-Spezialist Stefan Thurnherr vom VZ Vermögenszentrum schätzte 2016, dass die Schweizer Pensionskassen dank den frühzeitig verstorbenen Ledigen jedes Jahr Altersguthaben von 500 Millionen bis zu einer Milliarde Franken kassieren.

Erbschaftssteuern

«Die Erbschaftssteuern wurden schon längst abgeschafft.» So wird heute immer noch quer durch alle Schichten argumentiert. Diese Aussage stimmt nur für Erbschaften von Eltern zu ihren Kindern oder innerhalb der Ehe. Gemäss der Schweiz. Steuerkonferenz SSK flossen aus den Erbschafts- und Schenkungssteuern 2014 total 1 177 Millionen Franken (Kantone 1 074 Millionen Franken, Gemeinden 103 Millionen Franken). Da von Eltern zu Kindern und zwischen Ehegatten keine Erbschaftssteuern anfallen, darf man davon ausgehen, dass ein beachtlicher Teil aus der Hinterlassenschaft von kinderlosen und unverheirateten Personen stammt.
Alles in allem gibt es also genügend Fragen oder Hinweise an all jene Politikerinnen und Politiker, die im Herbst zur Wahl stehen. Oder vielleicht geben Sie gleich das Bulletin weiter.  

PDF des Artikels: Wahlen 2019

zurück

Kommentar

email address:
Homepage:
URL:
Comment:

Name:

E-Mail (Pflichtfeld, nicht öffentlich):

Kommentar :

Prüfziffer:
11 minus 2  =  Bitte Ergebnis eintragen