Individualbesteuerung: Ein Begriff – Unzählige Interpretationen

Pro Single Schweiz, 31.1.2022

Notre position en français

In der Herbstsession 2020 nahm das Parlament die Verabschiedung einer Botschaft des Bundesrates zur Einführung der Individual­besteuerung in die Legislaturplanung 2019-2023 auf. Der Bundesrat hat nun eine «Ausle­ge­ordnung zur Individual­besteuerung» vorgelegt. Der Bericht untersucht drei Modelle, wie die Individualbesteuerung in der Schweiz umgesetzt werden könnte. Für Pro Single Schweiz ist ein Modell verhandelbar, die beiden anderen haben mit individueller Besteuerung wenig zu tun.

Die Vernehmlassung zur Individualbesteuerung findet voraussichtlich erst im letzten Quartal 2022 statt. Trotzdem haben wir uns entschieden, jetzt schon ausführlich über das Thema zu berichten, weil wir festgestellt haben, dass viele Fantasien kursieren, was Individualbesteuerung alles bedeuten könnte. Je nach Modell ergeben sich unterschiedliche Belastungsrelationen und finanzielle Auswirkungen. Was mit Sicherheit gesagt werden kann ist, dass folgende Ziele der Individualbesteuerung zugrunde liegen:

  • Gleiche Besteuerung aller Steuerpflichtigen, unabhängig vom Zivilstand, keine Addition der Einkommen von Ehepartnern, damit die steile Steuerprogression für Zweiverdiener-Ehepaare gebrochen wird.
  • Eindämmung des Fachkräftemangels, weil durch die Individualbesteuerung ökonomische Anreize gesetzt würden, damit qualifizierte Frauen vermehrt in die Berufstätigkeit zurückkehren.
  • Gleichstellung der Frauen, wenn ihr Einkommen nicht mehr direkt mit demjenigen ihres Ehemannes verknüpft wird und sie eigenständige Steuerpflichtige sind.

 

Auslegeordnung des Bundesrates
Dargestellt werden drei Modelle in jeweils zwei Varianten. Eine Variante geht von einer aufkommensneutralen Ausgestaltung aus, die bei der direkten Bundessteuer gegenüber dem Status quo weder Mehr- und Mindereinnahmen erzeugt. Die zweite Variante analysiert die Auswirkungen bei Mindereinnahmen von rund 1,5 Mia. Franken bei der direkten Bundessteuer.
Die Auslegeordnung des Bundesrates untersucht drei Modelle der Individualbesteuerung:

  1. Reine Individualbesteuerung: Sie erfasst das Einkommen und das Vermögen jeder Person separat, unabhängig vom Zivilstand. Ehepaare werden gleich besteuert wie Konkubinatspaare. Personen mit Kindern wird durch kinderrelevante Abzüge Rechnung getragen. Haushaltsvorteile, die Mehrpersonenhaushalte im Unterschied zu Einpersonenhaushalten erzielen, werden nicht berücksichtigt. Für Ehepaare mit ungleichen Einkommen sind keine Entlastungsmassnahmen vorgesehen.
  2. Modifizierte Individualbesteuerung: Hier ist ein ­Abzug für Paare mit ungleichmässiger Einkommensauf­tei­lung oder die pauschale Zuweisung bestimmter ­Einkommensbestandteile auf die Eheleute möglich. Ferner sind Abzüge für alleinstehende oder alleinerziehende Personen denkbar.
  3. Individualbesteuerung gemäss Ecoplan (private Studie) mit zwei Tarifen: Für Steuerpflichtige mit Kindern soll ein Elterntarif gemäss heutigem Recht gelten. Für jene ohne Kinder kommt der Grundtarif zur Anwendung. Für Paare mit ungleichmässiger Einkommensaufteilung und Alleinstehende sieht das Modell keine Massnahmen vor. Bei Ehepaaren mit Kindern führt es zu weiteren Entlastungen gegenüber dem geltenden Recht.

 

Nur «Reine Individualbesteuerung» akzeptabel
Wir sind der Einführung einer Individualbesteuerung grundsätzlich nicht abgeneigt, befürworten aber klar und ausschliesslich die Variante «Reine Individualbesteuerung» mit aufkommensneutraler Ausgestaltung. Die Varianten «modifizierte Individualbesteuerung» sowie die «Individualbesteuerung gemäss Ecoplan» lehnen wir entschieden ab.

Begründung

  1. Aus dem Bericht geht klar hervor, dass die Varianten 2 und 3 eine Mehrbelastung für Alleinstehende ohne Kinder bewirken würden, ausser man entscheidet sich für die Variante 1,5 Mia. Franken Mindereinnahmen. Bereits heute ist der Grundtarif für Alleinstehende höher als der Verheiratetentarif. Eine weitere Zusatzbelastung der Alleinstehenden ist inakzeptabel.
  2. Die Individualbesteuerung soll Ungleichheiten zwischen Ehe- und Konkubinatspaaren ausmerzen. Jede Person soll individuell besteuert werden, damit die steile Steuerprogression im aktuellen System für Ehepaare gebrochen wird. Ziel der Individualbesteuerung war aber nie, eine zusätzliche Entlastung von Paaren einzuführen. Diese Intention widerspricht der ursprünglichen Forderung nach gleicher Besteuerung aller Steuerpflichtigen.
  3. Bei der modifizierten Individualbesteuerung würden Paare mit ungleicher Einkommensaufteilung (Einverdiener oder geringes Zweitpensum) entlastet werden. Dies ist kontraproduktiv, um die Erwerbstätigkeit der Frauen zu steigern. Ziel muss sein, dass die Eheleute sich langfristig Familienarbeit und Erwerbseinkommen teilen. Aus diesem Grund müssen steuerliche Umver­teilungen innerhalb der Ehepaare abgelehnt werden.
  4. Der bei der Individualbesteuerung gemäss Ecoplan vorgesehene Elterntarif hat in der Individualbesteuerung nichts zu suchen. Das Prinzip der Gleichheit wird mit zwei verschiedenen Tarifen nicht eingehalten.
  5. Nur die reine Individualbesteuerung setzt die erwünschten Arbeitsanreize für Zweitverdienende, weil die Steuerprogression wegfällt und sich zusätzliches Einkommen lohnt.
  6. Für die aufkommensneutrale Variante sprechen wir uns aus, weil der Systemwechsel keine direkten Auswirkungen auf den Staatshaushalt haben soll.
  7. Die «wirtschaftliche Leistungsfähigkeit» eines Haushaltes darf nicht allein am tatsächlichen Einkommen festgemacht werden. Sie muss immer auch in Bezug zur Leistungsmöglichkeit und zur Leistungsbereitschaft gesetzt werden. Ein freiwilliger Verzicht auf Einkommen, weil man mit dem Einkommen eines Partners durchkommt, darf steuerlich nicht bevorteilt werden. Dies setzt falsche Anreize und würde das Ziel einer höheren Erwerbsbeteiligung der Frauen unterlaufen. Zusätzliche Abzüge für Ehepaare sind nur dann gerechtfertigt, wenn die zweite erwachsene Person in einem Haushalt aus gesundheitlichen Gründen nicht oder nur beschränkt erwerbsfähig ist.
  8. Generell soll die Haushaltgrösse nur über Abzüge berücksichtigt werden, und zwar durch
  • Abzüge für Kinder, weil diese Kosten verursachen
  • Abzüge für Haushalte mit nur einer erwachsenen erwerbsfähigen Person mit und ohne Kinder, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nachweislich kleiner ist als diejenige eines Paarhaushaltes, in dem zwei Einkommen generiert und zudem die Fixkosten geteilt werden können.

 

4 Gründe für die Reine Individualbesteuerung, Variante aufkommensneutral

  1. Aus wirtschaftlicher Sicht darf ein Systemwechsel bei den Bundessteuern keine Mindereinnahmen verursachen.
  2. Das neue System soll möglichst einfach aus­gestaltet sein und sich vom heutigen «Flickenteppich» klar unterscheiden. Die Modelle «Modifizierte Individualbesteuerung» und «Modifizierte Individualbesteuerung gemäss Ecoplan» würden genau wieder in diese Richtung gehen.
  3. Das Prinzip der Gleichheit wird nur in diesem Modell eingehalten, weil alle Personen ungeachtet des Zivilstands und der Lebensform indivi­duell besteuert werden und keine steuerlichen Verknüpfungen mehr bestehen.
  4. Nur die reine Individualbesteuerung erzeugt positive Arbeitsmarkt- und Wachstumseffekte. Mit diesem Modell könnte eine Mobilisierung insbesondere der Frauen auf dem Arbeitsmarkt erreicht und damit dem Fachkräftemangel begegnet werden.

 

Zurzeit läuft die Unterschriftensammlung zur Ein­rei­chung der Eidgenössischen Volksinitiative «Für eine zivilstands­unabhängige Individualbesteuerung (Steuergerechtigkeits-Initiative)». Die Sammelfrist endet am 9. September 2022.

 

Pro Single Schweiz, 31.1.2022

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