Kinder zu haben, sichert Renten nicht

NZZ vom 14.8.23, Gastkommentar von Sylvia Locher

Kinderlose sollen weniger Rente erhalten, um die AHV-Finanzen in den Griff zu bekommen. So lautet der Vorschlag des Ökonomen Wolfram Kägi, der die Behauptung in die Welt setzt, Kinderlose würden praktisch nichts zur AHV beitragen (NZZ 16. 7. 23). Die AHV leide unter einem Konstruktionsfehler, so Kägi, weil sie die Tatsache ignoriere, dass es ohne Kinder keine AHV mehr gebe.

Kägis Studie beleuchtet nur einen Teil der AHV-Finanzierung. Kinderlose werden als Schmarotzer diffamiert, anstatt ihre enormen finanziellen Leistungen zugunsten unserer Volkswirtschaft und der Sozialwerke anzuerkennen. Zudem wird die AHV in überproportionalem Mass durch Gutverdienende (mit und ohne Kinder) finanziert, da die Renten nach oben begrenzt sind, nicht aber die Beiträge. Kinder zur Welt bringen garantiert kein funktionierendes Rentensystem. Je nach deren zukünftigem Einkommen im Erwachsenenalter fallen die Beiträge an die AHV geringer aus als die vorgängigen Aufwendungen.

Bis ein Kind in die AHV einzahlt, werden diverse Leistungen in einem hohen Mass von den Kinderlosen mitfinanziert, was die Eltern entlastet: Querfinanzierung des Bildungs- und Gesundheitswesens, steuerliche Bevorteilung (Ehepaare können Abzüge für Kinder vornehmen und werden überdies zu einem tieferen Tarif als Alleinstehende besteuert), Kinder- und Krankenkassenprämienverbilligung, Vergünstigungen bei (halb)staatlichen Institutionen wie zum Beispiel den SBB. Ausserdem muss fast die Hälfte der Paare mit Kindern keine direkten Bundessteuern bezahlen, während praktisch alle Kinderlosen Bundessteuern abliefern.

Dazu kommen familiengebundene Leistungen aus den Sozialversicherungen AHV, BVG und UVG. Es wäre an der Zeit, diese unter die Lupe zu nehmen. Der Umbau der AHV darf nicht mit dem Röhrenblick vorgenommen werden, es müssen auch Faktoren wie ein Abbau künftiger Witwenrenten für Frauen ohne Betreuungspflichten, Streichung des Verwitwetenzuschlags von 20 Prozent sowie Abschaffung der luxuriösen Kinderrente zusätzlich zur Altersrente für pensionierte Väter ins Auge gefasst werden.

Nochmals zurück zu Kägis Vorschlag, Eltern eine höhere Rente zuzugestehen als Kinderlosen. Diese Idee ist nicht neu und bereits umgesetzt. Unser AHV-System kennt seit bald dreissig Jahren Erziehungsgutschriften für Eltern. Das sind fiktive Einkommen, die einer versicherten Person mit Kind bei der Berechnung der AHV-Rente angerechnet werden, ohne dass sie dafür AHV-Beiträge bezahlen muss. Die Erziehungsgutschriften betragen das Dreifache der jährlichen Mindestrente bei Anspruchsbeginn.

Dass Kinderlose gegenüber Paaren mit Kindern im Vorteil seien, ist mitnichten erwiesen. So stellt ein Bericht des Bundesamtes für Sozialversicherungen vom März 2023 («Die wirtschaftliche Situation der Alleinlebenden in der Schweiz») fest, Alleinlebenden stehe nur ein Einkommen zur Verfügung, welches für den Lebensunterhalt, für den Aufbau von Reserven beziehungsweise Vermögen sowie für die Altersvorsorge reichen muss. Im Vergleich dazu verfügen Paarhaushalte über ein drei- bis fünfmal so hohes Median-Nettovermögen. Zudem können Alleinlebende im Gegensatz zu Paarhaushalten (Konsensual- oder Ehepaar) nicht von kostensenkenden Skaleneffekten (zum Beispiel bei der Miete oder anderen Ausgaben) profitieren.

Eine Frage muss zum Schluss noch erlaubt sein: Was würde passieren, wenn alle Kinderlosen ihr Arbeitspensum reduzierten, weniger Steuern und weniger AHV-Beiträge bezahlten? Gerade alleinstehende Kinderlose haben vielleicht kein Interesse daran, viel anzusparen, weil – im Gegensatz zur Vererbung von Eltern zu Kindern – ihre Vermögen bei ihrem Tod mit happigen Erbschaftssteuern belegt werden.

Sylvia Locher ist Präsidentin von Pro Single Schweiz

 

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